#38 - Tabea Flügge
Welche Chancen birgt KI für die Zahnmedizin, Tabea Flügge?

Intro: Wir haben uns überlegt, wie kann in dem Fall KI vielleicht helfen, und haben eine KI sozusagen trainiert, die auf Fotografien, also einfachen Fotos der Mundhöhle, Erkrankungen der Schleimhaut erkennen soll. Und wir wissen jetzt eben schon, dass diese Erkennung für bestimmte Krankheiten sehr gut funktioniert. Also das bedeutet, Tumorerkrankungen oder auch Mundschleimhauterkrankungen, die vielleicht später mal ein Tumor werden können, können auf Fotos durch eine KI erkannt werden. Ast Different. Der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.
Anton Stanislawki: Heute mit Anton Stanislawski. Hallo, schön, dass Sie dabei sind. Künstliche Intelligenz ist ja so langsam, würde ich sagen, fast überall angekommen. Sie hilft uns beim Erdbeeren ernten, habe ich vor Kurzem gesehen, beim Drehen von Filmen und sie kann uns unterstützen, Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. KI in der modernen Medizin, das ist unser Thema heute, und wie genau das zusammenpasst, das kann mir Professor Dr. Tabea Pflücker erklären. Hallo, schön, dass Sie da sind.
Tabea Flügge: Vielen Dank für die Einladung.
Stanislawski: Sie sind Professorin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am Einstein Center Digital Future und Sie beschäftigen sich eben mit Digitalisierung und Chancen von KI in Ihrem Fachgebiet, und zwar der Zahnmedizin, genauer der Oralchirurgie. Wie passt das denn zusammen? Künstliche Intelligenz und Zahnmedizin?
Flügge: Ja, das ist natürlich eine gute Frage und erschließt sich dem Laien vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber man muss schon sagen, dass das ein ziemlich gutes Match ist. Wir sind in der Zahnmedizin und auch in der Oralchirurgie sehr viel mit Bilddaten unterwegs. Jeder, der schon mal beim Zahnarzt war, kann sich vielleicht erinnern, dass er ein Röntgenbild bekommen hat, dass vielleicht auch Fotos angefertigt worden sind von der Mundhöhle. Also das heißt, wir haben schon mal recht viel Bildmaterial, das natürlich über diese Techniken hinausgeht. Und der nächste logische Schritt ist eigentlich in der Zahnmedizin und auch in der Chirurgie, diese Bilddaten systematisch auszuwerten, und da kommt dann KI ins Spiel. Also für mich eigentlich eine recht logische Folge und in den Jahren meiner Forschungstätigkeit eigentlich auch so eine fortwährende Entwicklung, muss ich sagen. Und wir werden ja gleich vielleicht noch etwas genau darauf eingehen, aber das ist, wie gesagt, ein gutes Match und sehr, sehr sinnvoll für jeden Tag und die Praxis, die wir so haben.
Stanislawski: Sie behandeln ja Patientinnen und Patienten, habe ich gelesen, mit komplexen Gesichtsdefekten. Was kann ich mir darunter vorstellen? Wer kommt da zu Ihnen?
Flügge: Das hört sich natürlich erst mal ein bisschen abenteuerlich vielleicht an, aber was das meint, ist eigentlich – wir können im Prinzip sagen, dass viele Erkrankungen des Gesichtes oder der Mundhöhle schnell zu komplexen Situationen werden. Und das ist dadurch begründet zum einen in der Mundhöhle, dass wir sehr viele sehr feine, sehr eng benachbarte Strukturen vorfinden. Also jeder, der sich vielleicht die Mundhöhle mal kurz vorstellen möchte, kann schon erahnen, dass da alles recht eng beieinander liegt. Und das heißt, wenn wir dann eine Erkrankung in der Mundhöhle haben, das kann zum Beispiel durch einen Unfall verursacht sein, kann aber auch durch eine Tumorerkrankung beispielsweise verursacht sein, und wir diese Erkrankungen behandeln, dann sind recht schnell viele unterschiedliche Strukturen betroffen. Also von Zähnen über Zahnfleisch über Knochen, über Nerven, über Gefäße, über Weichgewebe.
Das ist insbesondere dadurch, dass die eng benachbart sind. Und dann kann man sich vielleicht auch noch vorstellen, wenn wir jetzt sozusagen über die Mundhülle hinausgehen und das Gesicht betrachten, dann sind ja Erkrankungen oder Defekte hier auch relativ schnell komplex. Denn jede Operation, die wir durchführen, wird sofort sichtbar. Also man kann sehr schlecht sozusagen Operationen, Narben oder auch ja, wie gesagt, Defekte im Gesicht verstecken. Und demzufolge legen wir sehr großen Wert darauf und müssen wir sehr großen Wert darauf legen, die Gewebe, die durch eine Erkrankung oder durch einen Unfall beschädigt worden sind, möglichst gut zu ersetzen. Und dieser Ersatz eben dann auch mit den entsprechenden Geweben, die jetzt grade verloren gegangen sind. Und das kann eben mal Knochen sein, dann muss das durch Knochen ersetzt werden. Es können eben Zähne sein, die müssen dann wieder neu aufgebaut werden. Oder eben aber auch Haut und Weichgewebe. Und das alles wird dann sozusagen ersetzt in den Operationen, die wir machen. Und das ist der Grund, warum es eigentlich so komplexe Defekte oder auch komplexe Rekonstruktionen sind, die wir durchführen.
Stanislawski: Und alles noch erschwert dadurch, dass es ja ums Gesicht geht. Also das ist ja für uns Menschen einfach ein wahnsinnig wichtiger Teil, oder? Das stell ich mir als einen erhöhten Schwierigkeitsgrad vor, quasi.
Flügge: Es ist ein erhöhter Schwierigkeitsgrad, weil das so sichtbar ist und weil das natürlich auch zu unserer Identität gehört, wie unser Gesicht aussieht. Und eine gesichtsverändernde, also nicht gewollt gesichtsverändernde, aber eine gesichtsverändernde Operation ist auch schwer sozusagen zu ertragen, ja, zuweilen. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir da besonderen Wert drauflegen, das wiederherzustellen oder möglichst so wiederherzustellen, wie's zuvor war.
Stanislawski: Für die Patientinnen und Patienten, die Sie behandeln, und auch für die Forschung geht's dann wirklich um einfach wahnsinnig viel. Das ist eine sehr lebensverändernde Operation dann zum Teil.
Flügge: Das kann man so sagen, ja. Also es ist natürlich auch so häufig, dass es wenig Wahl gibt. Also das sucht man sich in den meisten Fällen ja nicht aus, wie ich gerade schon erklärt hatte, was die häufigen Fälle sind, die wir behandeln. Und häufig sind es tatsächlich auch nicht sehr kurze Therapien, also nicht alles in einem, sondern auch viele Therapieschritte, die aufeinander aufbauen, und natürlich auch ein ganzes Team, das an dieser komplexen Rekonstruktion dann tatsächlich beteiligt ist. Und beispielsweise mein Part, ich bin Zahnärztin, dann häufig darin besteht eben, dass ja, in der Mundhöhle mindestens sozusagen die letzte Struktur, die Zähne und die Kaufähigkeit wiederherzustellen. Aber ja, wie gesagt, viele andere Strukturen müssen eben auch wiederhergestellt werden und das ist ein großes Team, das daran arbeitet. Und letzten Endes auch, das ist ja heute unser Thema, ein sehr hoher Planungsaufwand. Man geht nicht in so eine Operation rein oder in mehrere Operationen oder eine Rekonstruktion und überlässt es vielleicht dem Zufall. Sondern man macht eine sehr genaue bildgestützte Planung, damit man möglichst das, was sozusagen verloren gegangen ist, wieder aufbaut.
Stanislawski: Das wäre jetzt tatsächlich auch meine Frage gewesen. Also erst mal noch KI ausgeklammert, woher kommen wir denn da in der Behandlung von diesen Patientinnen und Patienten? Also wie funktioniert das bislang?
Flügge: Ja, das ist eine gute Frage. Also es gibt natürlich sehr viel unterschiedliche Wege. Hier bei uns in der Klinik in Berlin haben wir ein sehr etabliertes Konzept auch der virtuellen Planung dieser Rekonstruktionen. Also das bedeutet, dass sowohl die, also wenn wir jetzt sozusagen von vielleicht Tumorerkrankungen sprechen, dass die Entfernung eines Tumors oder bevor ein Tumor entfernt wird, erst mal alle Bilder sozusagen vorhanden sind, die Auskunft geben über den Patienten oder die Anatomie des Patienten. Und auch schon Auskunft geben, wo die Strukturen, die vielleicht noch bestehen, wo sie sind. Und dann wird auf der Basis dieser Bilddaten eine Operation geplant und in dem Schritt der Planung auch direkt schon vorgesehen, wie werden die Strukturen wieder rekonstruiert? Also wir bedienen uns jetzt an Knochentransplantaten, die an anderen Stellen des Körpers entnommen werden. Und dann wird zu dem Zeitpunkt, wo eben die Resektion geplant wird, auch schon die Rekonstruktion geplant und genau abgemessen und in Bilddaten dreidimensional vorgesehen, welcher Knochen dann sozusagen genutzt wird, welches Weichgewebe dann genutzt wird, um diesen Defekt dann wieder aufzubauen. Und dann wird zudem auch schon geplant, wo werden später wieder Zähne sein? Wie kann ein Patient wieder kauen? Also nicht nur kauen, sondern auch essen, schlucken, sprechen, das gehört alles dazu. Das wird schon wirklich sehr stark am Anfang geplant, um dann eben später keine Überraschungen zu erleben oder vielleicht irgendwie sozusagen Zeitverzögerung dadurch zu haben, dass man dann erst mal überlegen muss, ah ja, wo waren wir denn eigentlich und wo wollen wir hin?
Stanislawski: Also man geht da nicht von OP zu OP und schaut, sondern das ist wirklich eigentlich eine geplante Strecke.
Flügge: Ja, es ist eine geplante Strecke. Man muss natürlich tatsächlich sagen, jeder Patient ist ja individuell. Und das heißt, es gibt einen individuellen Charakter jeder Operation, die man da macht. Nichtsdestotrotz kann man Bildanalyse oder vielleicht auch Rekonstruktionsalgorithmen nutzen, um eine Basis sozusagen aufzubauen, auf der man dann individualisieren kann, ja. Also ich denke, wir kommen ein bisschen weg trotz der Individualität eines jeden Patienten, einer jeden Patientin, dass wir bestimmte Voraussetzungen schon automatisiert herstellen und dann darauf basierend individualisieren können.
Stanislawski: Das ist eben auch der Punkt, wo wir ansetzen, wo Sie sagen, da kann uns KI helfen. Bildgebung war so ein Stichwort und eben.
Flügge: Also ich kann's ja vielleicht noch mal so probieren, zu erklären. Es hat natürlich sehr viele Aspekte. Und wir müssen auch sozusagen immer so ein bisschen unterscheiden, in welchem Schritt der Behandlung befinden wir uns gerade? Also befinden wir uns ganz früh im Schritt sozusagen oder im Stadium der Diagnose? Da haben wir häufig weniger komplexe Bilddaten und wollen erst mal auf Basis dieser Bilddaten herausfinden, was ist die Diagnose?
Und dann gibt es sozusagen natürlich später im Behandlungsablauf, wenn wir vielleicht eine Diagnose schon gefunden haben, gibt es die sogenannte Behandlungsplanung, die bildgestützte Behandlungsplanung. Das, was ich grade beschrieben habe, ja. Und dann sind wir sozusagen, wenn eine Behandlung stattgefunden hat, wieder an dem Punkt, wo wir auch wieder Bilddaten nutzen, beispielsweise um Kontrollen zu machen. Also einmal, um das Ergebnis zu überprüfen und dann auch im Verlauf eben zu erkennen, ob es sozusagen wieder Veränderungen gibt, die behandlungsbedürftig sind. Also je nachdem, in welchem Stadium der Behandlung wir sind, werden andere Tools genutzt. Und das heißt, was wir in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, in der Oralchirurgie, in der Zahnmedizin machen, ist häufig bildgestützt. Das geht um Bildanalyse häufig. Es gibt natürlich auch in aller Munde Large-Language-Models, generative KI, und das wird auch eine Rolle spielen bei uns. Aber heutzutage, wenn wir an KI in meinem Bereich denken, dann geht es häufig die Bildanalyse.
Stanislawski: Wo stehen wir da? Wird das schon genutzt?
Flügge: Ja. Das ist tatsächlich so, dass es genutzt wird. Also das ist kein Gedankenschloss, das irgendwie für die Zukunft aufgebaut wird. Wir haben Softwarelösungen, die heute schon in der zahnmedizinischen Praxis genutzt werden, beispielsweise Röntgenbilder zu analysieren und dem Patienten beziehungsweise der Patientin oder auch dem Zahnarzt und der Zahnärztin zu zeigen, hier ist vielleicht ein Befund, nicht, den Du nicht gesehen hast, aber ja, also vielleicht ein bisschen zu objektivieren und eine zweite Überprüfung zu haben, welche Befunde auf Röntgenbildern zu sehen sind.
Stanislawski: Sprich, schon heute, wenn ich in die Zahnarztpraxis gehe, ich bislang bin ich davon ausgegangen, da werden dann Röntgenbilder gemacht. Aber auch das ist schon ein Punkt, wo KI ins Spiel kommt.
Flügge: Auf jeden Fall. Also das ist natürlich nicht jetzt in jeder Zahnarztpraxis so, aber es sind einige Zahnarztpraxen, die diese Systeme nutzen. Also das heißt, die Röntgenbilder werden auf die übliche Weise gemacht. Und dann wird zusätzlich Software genutzt, eben diese Bilder auszuwerten. Das muss nicht mehr ausschließlich durch den Zahnarzt oder durch die Zahnärztin individuell geschehen.
Stanislawski: Also ganz vereinfacht gesagt, die KI sagt, guck mal hier, ich könnt mir vorstellen, dass es geht in die Richtung.
Flügge: Ganz genau, ja. Also die KI kann, wie gesagt, unterstützen und vielleicht auch, ja, so was wie vielleicht ein bisschen sicherstellen, dass da vielleicht Befunde nicht übersehen werden. Der Zahnarzt, die Zahnärztin kann eben auch noch mal gegenchecken. Das, was man selbst gesehen hat, ist das auch wirklich, also wird das auch sozusagen durch System erkannt. Und was natürlich auch eine schöne Möglichkeit ist und ich denk es auch sehr wichtig ist, Stichwort „Explainable AI“, obwohl das natürlich noch in eine ein bisschen andere Richtung geht. Patienten wollen ja vielleicht auch wissen oder auch visualisiert bekommen, was ist da auf meinem Röntgenbild eigentlich drauf. Und da hilft so eine Software auch nochmal zu unterstützen. Da ist wirklich was, auch die Software sagt, da ist was. Das ist jetzt in Anführungsstrichen nicht nur der Zahnarzt oder die Zahnärztin, sondern es gibt sozusagen ein Überprüfungssystem, das da eben auch noch mal eine Auskunft gibt und die vielleicht auch so visualisiert, dass man das besser verstehen kann. Also das ist auf jeden Fall in der Praxis schon verfügbar und wird genutzt.
Stanislawski: Das waren jetzt zwei ziemlich konkrete Beispiele, wo eben KI schon zur Anwendung kommt, auch in der Zahnmedizin. Sie haben vorher ein ziemlich komplexen Behandlungsplan eben beschrieben. Wenn man sich den anschaut, was würden Sie sagen, inwiefern wird da das Potenzial von Digitalisierung und auch KI schon ausgeschöpft und wo ist vielleicht auch noch Luft nach oben?
Flügge: Das ist tatsächlich so. Es ist natürlich ein komplexer Behandlungspfad oder auch ein Planungspfad. Und es gibt an vielen Stellen Möglichkeiten, den zu verbessern. Ich sage vielleicht zwei Dinge dazu: Zum einen bei der Diagnose von Erkrankungen der Mundhöhle sind wir jetzt nicht von sehr aufwendigen Bildgebungstechnologien abhängig. Also es ist häufig beispielsweise einfach so, dass man Erkrankungen der Mundhöhle am besten klinisch erkennen kann. Also da hilft jetzt gar nicht unbedingt ein aufwendiges Bildgebungsverfahren, sondern letzten Endes ein Spezialist, eine Spezialistin, die die Mundhöhle untersucht und dann eine Erkrankung erkennen kann.
Jetzt ist es aber so, dass Spezialisten und Spezialistinnen natürlich nicht in sehr großer Anzahl weltweit verfügbar sind, sondern dieses Wissen über Erkrankungen der Mundhöhle schon ein, ja, wie gesagt, Spezialwissen ist. Und diese Verteilung oder Nichtverteilung führt dazu, dass Erkrankungen der Mundhöhle häufig spät erkannt werden. Also das bedeutet, nicht jeder Zahnarzt, nicht jede Zahnärztin kann mit hohem Spezialwissen Erkrankungen der Mundhöhle erkennen. Und dann werden Patienten und Patientinnen eben häufig zu Spezialisten, wenn verfügbar, überwiesen.
Jetzt ist es so, wir haben uns überlegt, wie kann man das eigentlich verbessern? Weil dieser Weg der Überweisung oder das Reisen zu einem Spezialisten, je nachdem, wo man in Deutschland und wo man auf der Welt sozusagen lebt, kann durchaus etwas beschwerlicher sein oder vielleicht auch einfach zu lange dauern. Und wir haben uns überlegt, wie kann in dem Fall KI vielleicht helfen? Und haben eine KI trainiert, die auf Fotografien, also einfachen Fotos der Mundhöhle, Erkrankungen der Schleimhaut erkennen soll. Wir wissen jetzt eben schon, dass diese Erkennung für bestimmte Krankheiten sehr gut funktioniert. Also das bedeutet, Tumorerkrankungen oder auch Mundschleimhauterkrankungen, die vielleicht später mal ein Tumor werden können, können auf Fotos durch eine KI erkannt werden.
Wenn wir es jetzt schaffen, diese Technologie auch noch in ein Softwareprodukt, also in einer Applikation sozusagen, zu bringen, die an Zahnärzte, Zahnärztinnen verteilt werden kann, könnte das helfen, dass Spezialistenwissen, ja, Expertenwissen eine KI trainiert hat, diese KI verfügbar ist, um eben dieses Spezialwissen sozusagen zu verbreiten oder mehr Menschen zur Verfügung zu stellen. Das ist so ein Punkt, wo man sagen kann, da könnte KI helfen, früher Erkrankungen in der Mundhöhle zu erkennen, indem man es in eine Softwareapplikation einbindet.
Stanislawski: Ja, das leuchtet ein, vor allem für Menschen in Regionen, die eben sonst unterversorgt sind mit Spezialist:innen.
Flügge: Ganz genau, ja. Und man muss natürlich ehrlicherweise sagen, das ist jetzt ein, also wir sind ja hier in Berlin beziehungsweise in Potsdam. Wir haben vermutlich hier eine sehr hohe Zahnarztdichte. Und die Möglichkeit, dass man da sich vorstellen kann und dass man da auch eine Überweisung bekommt. Aber das geht vielleicht schon gar nicht weit von uns entfernt nicht mehr so gut. Und wenn man dann weltweit guckt, gibt es tatsächlich ja natürlich auch viele Regionen, in denen das nicht der Fall ist. Also es gibt natürlich unterschiedliche regionsspezifische Spezialitäten, aber was wir sehr genau sehen, auch in der Literatur, dass Erkrankungen der Mundhöhle häufig zu spät erkannt werden und dann eben auch zu spät behandelt werden. Was heißt, zu spät, aber spät behandelt werden, sodass sie eben dann auch einer größeren und ausgedehnteren Behandlung sozusagen bedürfen. Und da kann man sehr gut erkennen, wie durch KI oder auch Softwaresysteme, die diese KI beinhalten, es vielleicht möglich werden könnte, so eine ganz greifbare Verbesserung der Versorgung zu ermöglichen.
Stanislawski: Sie wollten anfangs, glaube ich, noch ein zweites Beispiel nennen, oder?
Flügge: Ja, ich wollte noch zweites Beispiel nennen, weil wir natürlich sagen, wir sind jetzt in der Universitätsklinik, wir haben diese komplexen Operationen und komplexen Bilddaten, also dreidimensionale Röntgendaten, optische Oberflächendaten.
Und auch hier kann KI helfen, es ist sozusagen eine Spezialanwendung, aber auch hier kann KI helfen, so eine Behandlung zu unterstützen. Denn man muss sich ja immer überlegen, um so eine Rekonstruktion machen zu können, ist ein großes Team beteiligt. Und in diesem Team ist ein wahnsinniges Spezialistenwissen vorhanden und Behandlungserfahrung. In jedem Fall letzten Endes, der geplant wird, fließt dann dieses Spezialistenwissen ein und ist erforderlich, um diesen Behandlungsfall zu lösen, sagen wir mal so. Und der Anspruch oder der Wunsch für die Zukunft ist aus meiner Sicht, dass wir dieses Wissen und diese Erfahrung auch in Softwaresystemen hinterlegen.
Also wir trainieren sozusagen Softwaresysteme, wir trainieren KI, die dieses Wissen sozusagen transportiert. Damit gelingt dann hoffentlich in der Zukunft auch, dass diese hochkomplexen Operationen gemacht werden können in Settings, in denen vielleicht nicht jeder Spezialist immer genau am Ort ist. Aber ich denke, es sollte möglich sein, es sollte uns gelingen, bestimmte Schritte, die mit der Erfahrung, die wir haben, mit dem Wissen, das wir haben, vielleicht immer ähnlich ablaufen, wo man, da gibt es Grundsätze, die kann man, die weiß man. Und die sind immer ähnlich. Und das sozusagen auch in Software so zu hinterlegen, dass es nicht immer ein individueller Input ist und dann eben auch ein bisschen breiter verfügbar wird.
Stanislawski: Ich kann mir vorstellen, dass dem noch so ein bisschen was im Wege steht. Was für Hürden sehen Sie denn da gerade?
Flügge: Also wir müssen natürlich sehr gut aufpassen, dass wir unsere KI-Technologie, unsere Algorithmen so trainieren, dass unterschiedlichste Fälle darin enthalten sind. Also wenn man den Anspruch hat, dass eine Software oder eine KI Erkrankungen der Mundhöhle erkennen soll, dann muss man sicherstellen, dass im Training dieser KI auch sehr viele und alle denkbaren Erkrankungen enthalten sind. Man muss aber auch Sorge tragen, dass die Population, der man das dann sozusagen zugutekommen lassen möchte, auch in so einem Algorithmus vollständig abgebildet ist. Das ist eine Herausforderung, eben dann auch KI-Modelle zu haben, die generalisierbar sind. Und ja, insbesondere auch, wenn man jetzt so an die komplexeren Rekonstruktionen denkt, braucht man natürlich auch eine auch hier wieder dann eine gute Menge an Trainingsdaten und dann eben auch durchgeführten Behandlungen, wo genau diese Spezifikationen alle enthalten sind, um dann eben auch, man nennt es ja, robuste Modelle zu haben, die dann vielfältige Probleme lösen können, in Anführungsstrichen.
Stanislawski: Ich würde Ihnen gern noch eine etwas persönlichere Frage stellen. Und zwar, ich hab's anfangs erwähnt, das ist ja schon eine Kombination, die erst mal nicht total naheliegt, finde ich. Also Sie sind Zahnärztin, gelernte, und wir haben jetzt hier seit 20, 30 Minuten über KI gesprochen. Also wie kommt denn diese Kombination bei Ihnen zustande in Ihrer Forschung?
Flügge: Ich muss sagen, dass diese Kombination oder diese vielleicht auch ein wenig Konzentration auf KI durchaus in den letzten Jahren entstanden ist, in denen ich jetzt schon in Berlin arbeiten durfte. Ich bin ja 2020 nach Berlin gekommen und hier an die Charité – Universitätsmedizin Berlin gekommen, aber eben auch ans Einstein-Zentrum für digitale Zukunft. Das ganz Besondere am ECDF, also am Einstein-Zentrum digitale Zukunft ist, dass hier Mediziner oder eben auch Zahnärzte und Zahnärztinnen mit Ingenieuren, mit Datenwissenschaftlern, mit unterschiedlichsten Kollegen, die sich mit der Digitalisierung in unterschiedlichen Lebensbereichen beschäftigen, zusammenarbeiten. Und dadurch hat sich für mich tatsächlich auch noch mal eine neue Welt erschlossen, durch diese Zusammenarbeit, weil ich plötzlich verstanden habe oder viel mehr noch verstanden habe, dass wir zwar vielleicht mit unterschiedlichen Problemen uns beschäftigen und die Daten, die wir nutzen, zuweilen unterschiedlich aussehen. Aber dass die Art, wie wir uns dem nähern oder wir uns gegenseitig etwas davon abschauen können, wie wir uns sozusagen diesen Analysen nähern und eben auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen tatsächlich sehr wertvoll dafür ist, sozusagen in diese Richtung zu denken. Denn wenn sich jetzt so beispielsweise fünf Zahnärzte und Zahnärztinnen in einen Raum setzen, dann ist da sehr hohe fachliche Expertise vorhanden. Aber es hört natürlich an einem bestimmten Punkt auf. Und es ist unrealistisch, dass jeder Zahnarzt, jede Zahnärztin Datenwissenschaftlerin wird. Und deswegen ist es sozusagen das Arbeiten in einem interdisziplinären Team, das mir dort ermöglicht worden ist, entscheidend.
Stanislawski: Dann zum Abschluss noch die KI-Frage schlechthin. Die muss in jedem KI-Interview vorkommen. Kann künstliche Intelligenz irgendwann den Zahnarzt oder die Zahnärztin ersetzen?
Flügge: Wenn man an den Zahnarzt oder eine Zahnärztin denkt, dann ist es ja hauptsächlich erst mal so eine sehr handwerkliche, sehr manuelle Arbeit. Und vielleicht haben Sie es auch schon mal ein wenig gehört. In der Fachwelt wird das immer wieder beleuchtet, dass diese Arbeit auch durch Roboter durchgeführt werden kann. Also wir haben jetzt in China so die ersten Roboter, die Implantate einsetzen in Menschen. Und das ist sicher auch spannend. Auf der anderen Seite glaube ich, dass ein Zahnarzt, eine Zahnärztin so viele unterschiedliche Aufgaben hat, die man jetzt erst mal vielleicht nicht als das Kerngebiet dieser Profession sieht.
Stanislawski: Dem Patienten, der Patientin die Angst nehmen zum Beispiel.
Flügge: Also zum Beispiel mit einem Patienten, einer Patientin reden, Ja, und die sozusagen beste Therapie dann eben auch dem Patienten oder der Patientin zugutekommen lassen und durchführen. Ich glaube, dass alle umliegenden Aufgaben sehr viel besser durch KI gelöst werden können als genau das. Also das Sprechen mit einem Patienten oder einer Patientin und das tatsächliche Durchführen dieser handwerklichen Arbeit. Und ich bin der Meinung, dass wenn wir es schaffen, diese ganzen umliegenden Aufgaben durch KI zu unterstützen, dass wir sehr viel gewonnen haben und dass es aus meiner Sicht, wie gesagt, viel wertvoller ist, als vielleicht die tatsächliche manuelle Arbeit ersetzen zu wollen. Oder auch die menschliche Kommunikation ersetzen zu wollen. Und ich glaub, wir haben noch viele Aufgaben, wie gesagt diesen ganzen umliegenden Apparat zu bearbeiten und auch spannende Aufgaben vor uns, die uns noch auch lange beschäftigen werden.
Stanislawski: Unterstützen nicht ersetzen ist, glaube ich, das Stichwort vielleicht.
Flügge: Das könnte man so sagen.
Stanislawski: Mir ist auch klar geworden, da liegt auf jeden Fall sehr, sehr viel Potenzial in Sachen KI und Digitalisierung im Gesundheitswesen, besonders eben auch in ihrem Fachgebiet in der Zahnmedizin. Das hat uns Professor Tabea Flügge erklärt, Einstein-Professorin am Einstein Center Digital Future und an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ich glaube, ich werde auf jeden Fall mit einem anderen Blick in die Zahnarztpraxis kommen das nächste Mal. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch.
Flügge: Vielen Dank, dass ich da sein durfte.
Stanislawski: Und damit auch vielen Dank an Sie, an unsere Hörerinnen und Hörer für das Interesse. Ein kleiner Hinweis noch: In Episode 31 von #AskDifferent, da habe ich mit dem belgischen Forscher Yves Moreau gesprochen, und zwar über ganz ähnliche Themen. Er beschäftigt sich mit Big Data in der Biomedizin und mit moralischen Standards für KI. Also da können Sie gern gleich weiter hören, falls Sie das Thema interessiert. Am besten gleich den Podcast noch abonnieren, dann verpassen Sie auch keine weiteren Folgen. Mein Name ist Anton Stanislawski, vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.
#Ask Different. Der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.