ALBERT fragt ...

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 10 "Sozialdemografie"

Durchlebt Osteuropa eine demografische Panik?

Antwort von Félix Krawatzek

 

Osteuropa hat sich in den letzten 30 Jahren vom jüngsten in den ältesten Teil Europas verwandelt. Seit 1991 ist das Medianalter von knapp 30 auf über 40 Jahre angestiegen. Gründe dafür sind vor allem Emigration und die zurückgehende Geburtenrate: Sie ist im selben Zeitraum von über zwei auf ungefähr 1,4 Kinder zurückgegangen.

Im Baltikum zum Beispiel zeigt sich der Bevölkerungsschwund mehr als in jeder anderen Region der Welt. Lettland hat seit 1991 ungefähr ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Und laut Prognosen wird dieser Trend anhalten. Man schätzt, dass ungefähr 25 Prozent der Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren verstirbt oder auswandert und nicht zurückkehrt.

Aktuell sehen wir eine demografische Gegenentwicklung durch die Geflüchteten aus der Ukraine, von denen mehr als 6 Millionen in Nachbarländern sind. Dadurch wurde der Bevölkerungsrückgang in Ostmitteleuropa vorerst auf Kosten der Ukraine gebremst. Allerdings ist abzuwarten, ob die Menschen in den Ländern bleiben oder in ihre Heimat zurückkehren.

Die Regierungen versuchen, bei der demografischen Entwicklung gegenzusteuern. Es gibt in einigen osteuropäischen Ländern regelrechte Kindergeldprämien. Großer Druck zeigt sich im politischen Diskurs darüber, wie man sich anpassen kann: Wie müssen wir unsere Städte umbauen, wie organisieren wir Pflege, öffentlichen Nahverkehr und das Gesundheitssystem, wie schaffen wir Anreize auf dem Arbeitsmarkt?

In diesem Zusammenhang verändert sich das Bewusstsein für Einwanderung, die ja in Osteuropa eher ungewohnt ist. Hier wird versucht, ein positiveres Bild zu erzeugen. Das ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit – und Ausdruck einer demografischen Panik, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.

Experte

Félix Krawatzek ist Senior Researcher und Leiter des Forschungsschwerpunkts „Jugend und generationeller Wandel“ am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. Der Politikwissenschaftler ist Associate Member am Nuffield College der University of Oxford.

März 2025