ALBERT fragt ...

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Braucht ein Fluss eigene Rechte?

Antwort von Christian Calliess

 

Unser westliches Rechtssystem stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Er kann vor Gerichten Umweltschutz erwirken, wenn sein Grundrecht auf Gesundheit oder Eigentum verletzt wird. Aus der Menschenwürde lässt sich zudem ein ökologisches Existenzminimum ableiten, etwa auf atembare Luft oder Trinkwasser. Der Einzelne kann aber nicht losgelöst von individuellen Rechten im Namen der Umwelt klagen.

Wenn zum Beispiel ein Unternehmen zu viele umweltschädliche Abwässer in einen Fluss einleitet und die Behörden dies zulassen, könnte ein Anlieger klagen. Wenn aber keine Person individuell betroffen ist, gibt es keinen Kläger. Dann bleibt die Natur schutzlos. 

Um solche Rechtsschutzlücken zu schließen, wurden in den 1970ern in den USA die Eigenrechte der Natur erfunden. Auch in Südamerika oder in Neuseeland sind solche Rechte entstanden. Staaten wie Ecuador haben damit die religiösen Lebenswelten ihrer Ureinwohner:innen in der Verfassung anerkannt. Das ändert aber nichts daran, dass Umweltgesetze in Südamerika oft massiv missachtet werden.

Durch das EU-Recht haben wir das wirkungsvolle Instrument der umweltrechtlichen Verbandsklage. Als Treuhänder können anerkannte Umweltverbände im Namen der Natur auf die Einhaltung von Gesetzen wie der Wasserrahmenrichtlinie klagen. In Deutschland und Europa besteht daher keine Schutzlücke mehr, sodass wir Eigenrechte der Natur für den Zugang zum Gericht nicht brauchen.

Aus Sicht der Umweltethik bin ich aber durchaus dafür, dass man der belebten Natur Eigenrechte zuerkennt, weil es eine ethische Grundfrage ist, wie wir mit der Schöpfung umgehen. Sie in unsere Verfassung zu schreiben, hätte einen Appellcharakter, würde aber rechtlich letztlich nichts verändern.

Expert:in

Christian Calliess ist Professor für Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Umweltrecht und Europarecht an der Freien Universität Berlin. Von 2008 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung. Er ist beteiligt an der Einstein Research Unit CliWaC.

März 2024