ALBERT fragt ...

Wie still ist stilles Wasser wirklich?

Antwort von Thomas Elsässer

 

Wenn vor Ihnen ein Glas „stilles“ Wasser bei 20 Grad steht, befinden sich alle Moleküle darin in ultraschneller thermischer Bewegung. Sie verschieben ihren Standort oder führen Kippbewegungen aus. Nicht nur einzelne Wassermoleküle bewegen sich, auch ganze Verbände gemeinsam. 

Die Wassermoleküle (H2O) sind über eine schwache chemische Bindung aneinandergekoppelt, die man Wasserstoffbrücke nennt. Die Wasserstoffe (H) des einen Moleküls koppeln durch elektrische Wechselwirkungen an den Sauerstoff (O) benachbarter Moleküle. Die so entstehende Struktur ist angeordnet wie ein Tetraeder, ist aber aufgrund der thermischen Energie nicht statisch.

Die thermischen Bewegungen führen auch dazu, dass die Wasserstoffbrücken immer wieder gebrochen und neu gebildet werden. Der Takt, in dem das passiert, ist ungefähr eine Pikosekunde, also ein Millionstel einer Millionstelsekunde. Insofern ist Wasser auf molekularer Ebene niemals still. Anders ist das bei einem Eiskristall, hier bleiben die Tetraeder bestehen.

Ein Gedächtnis hat Wasser nicht, obwohl das oft behauptet und viel Geld damit verdient wird. Das würde bedeuten, dass es Strukturen gibt, die länger erhalten bleiben. Oder auch, dass es Anregungen des Wassers gibt, also bestimmte Bewegungsformen oder Arten, Energie zu speichern, die länger erhalten bleiben. Das ist aber nicht der Fall. All diese Anregungen zerfallen in weniger als einer Pikosekunde. Auch wenn „stilles“ Wasser keineswegs still ist, wird es also in Zukunft keine wasserbasierten Informationsspeicher geben.

Expert:in

Thomas Elsässer ist emeritierter Professor für Experimentalphysik der Humboldt-Universität zu Berlin, Director emeritus am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie sowie Leiter des Forschungsprojekts BIOVIB, für das er einen Advanced Grant des European Research Council eingeworben hat.

März 2024