Der durstige Wald

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Astbruch, Waldbrände, Kronenverlichtung – der deutsche Wald leidet sichtlich unter der Dürre. Forstwissenschaftler:innen suchen fieberhaft nach Lösungen, um ihn zu retten. Während die einen eher auf die Selbstheilungskräfte der Natur setzen, sehen die anderen eine klimaangepasste Wiederaufforstung

Text: Susanne Götze

Die sandige Erde Brandenburgs rinnt nach dem Sommer 2023 immer noch durch die Hände, als hätte es lange keinen Regenschauer gegeben. Dabei war 2023 das erste nach fünf Dürrejahren, in dem es endlich wieder mehr regnete. Das segensreiche Nass ließ die Natur aufatmen, verschonte die Kiefernmonokulturen vor erneuten Waldbränden und füllte die Grundwasserspeicher auf. Doch noch immer reicht es nicht. Selbst wenn sich die staubtrockenen Böden nach einem Herbstschauer in schlammiges Erdreich verwandeln – das Problem bleibt: Die Region ist ein Dürrehotspot Deutschlands.

Das zeigt sich vor allem unter der Oberfläche: Zwischen 60 Zentimetern und zwei Metern Tiefe kommt nicht genug Wasser an. Auf dem Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sind weite Teile Brandenburgs deshalb selbst im Oktober noch tiefrot – das bedeutet extreme oder außergewöhnliche Dürre. In den letzten 50 Jahren gab es solche Dürre-Ausnahmejahre wie seit 2018 noch nie so dicht beieinander. Darunter leiden die Landwirtschaft, die Trinkwasserversorgung – und der Wald. Mit einem Anteil von fast 40 Prozent gehört Brandenburg zu den fünf waldreichsten Bundesländern. Die Bäume, so sind sich die meisten Forstexpert:innen einig, sind die ersten Opfer des Klimawandels in Deutschland.

In ganz Deutschland sind die Folgen der Dürrejahre nicht länger kleinzureden: Laut Waldzustandserhebung sind vier von fünf Bäumen krank – und eine Erholung ist nicht in Sicht. Als Indikator für ihren Gesundheitszustand gilt, wie dicht Laub oder Nadeln sind. 2022 hatten über alle Arten gerechnet 35 Prozent der Bäume in deutschen Wäldern deutliche Schäden, bei ihnen war mehr als ein Viertel der Krone licht. Weitere 44 Prozent lagen in der „Warnstufe” mit schwacher Kronenverlichtung. Besonders schlecht geht es Fichten und Kiefern, aber auch Eichen und Buchen sind teils schwer krank. Vollständig gesund sind nur noch 21 Prozent der Bäume in Deutschland. Der derzeitige Zustand ist laut Expert:innen schlechter als beim großen Waldsterben Anfang der 1980er Jahre.

Forstwissenschaftler:innen, Waldbesitzende und die Politik suchen deshalb fieberhaft nach Lösungen, um den Wald zu retten. Es geht darum, ihn so schnell wie möglich an die neuen Bedingungen anzupassen. Doch anders als bei einem Deich, den man höher bauen kann, um dem Meeresspiegelanstieg entgegenzutreten, gibt es beim Wald keine schnellen Lösungen. Denn er wächst und erneuert sich über viele Jahre. Und die Forstexpert:innen sind sich bislang nicht einig, wie sie die Waldkrise bewältigen können.

Zumindest bei den Ursachen gibt es jedoch wenig Dissens: Höhere Temperaturen und weniger Sommerniederschläge schwächen die Wälder. Es regnet zu wenig und zu unregelmäßig. In den vergangenen Jahren füllten sich die unterirdischen Wasserreserven oft nicht mehr, zudem häuften sich Starkregenereignisse, die zu Erdrutschen oder Erosion führen und deren Wasser nur oberflächlich in den Boden eindringt. Das meiste verdunstet. Dann werden Bäume anfälliger für Insektenbefall, etwa durch den Borkenkäfer, und für Waldbrände.

Nadelbäume wie Kiefern oder Fichten, so viel ist auch klar, sind anfälliger für Brände als Laub- oder Mischwälder. Sie brachten den Waldbesitzer:innen immer gutes Geld ein, weil sie schnell wachsen und Forstmaschinen sie leicht ernten können. Doch die trockenen Nadeln auf dem Waldboden lassen weniger Wasser ins Erdinnere und erhöhen die Waldbrandgefahr. Das Harz wirkt zusätzlich als Brandbeschleuniger und wenn sie in Monokulturen gepflanzt werden, können sich Flammen noch schneller ausbreiten. Ein Lager unter den Forstexpert:innen spricht sich daher vehement gegen dieses überlieferte Forstideal aus.

2022 hatten über alle Arten gerechnet 35 Prozent der Bäume in deutschen Wäldern deutliche Schäden. Weitere 44 Prozent lagen in der „Warnstufe”

Selbstheilungkräfte oder menschliche Überlebenshilfe?

An heißen Sommertagen läuft Professor Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) mit seinen Doktorand:innen und Mitarbeitenden durch den Wald bei Treuenbrietzen und misst die Bodentemperaturen. Ibisch beobachtet die Trockenheit und ihre Folgen bereits seit Jahren. Er ist neben Peter Wohlleben der wohl prominenteste Gegner herkömmlicher Forstmethoden und erklärter Feind von Nadelbaumplantagen, wie er sie nennt. In Treuenbrietzen forscht er auf dem Gelände einer abgebrannten Kiefernmonokultur dazu, wie eine Selbstregulation des Waldes bei dessen Anpassung an den Klimawandel helfen kann. „Wir plädieren dafür, dem Wald alles zu lassen, was kühlt und puffert. Und wir plädieren für die Naturverjüngung, ein natürliches Nachwachsen der Bäume, solange sie sich noch einstellt”, so Ibisch.

Im Trockensommer 2018 verschlang ein Waldbrand in Treuenbrietzen in nur wenigen Tagen 400 Hektar Kiefernwald. Räummaschinen luden danach die Stämme auf Laster und zerrten die Wurzeln mit schwerem Gerät aus dem Boden. Übrig blieb eine Mondlandschaft. Während die Waldbesitzer:innen begannen, wieder Kiefernsetzlinge in den sandigen Boden auszubringen, sicherten sich Ibisch und sein Team ein Stück für ihre Studien – und überließen der Natur die Regeneration. Bereits drei Jahre später waren die Flächen mit Gras und anderen Pflanzen überwuchert, dazwischen wuchsen Zitterpappeln und sogar Eichenbäumchen aus dem schwarzgebrannten Boden. Als 2022 das nächste Feuer in der Region tobte, überlebte nur ein Teil des Untersuchungswaldes.

Für den Forscher Pierre Ibisch liegt die Lösung für die Waldkrise auf der Hand: Überlässt man die Natur sich selbst, entsteht ein Naturwald, der durch Vielfalt widerstandsfähig ist gegen Extremwetter und zudem als dauerhafter CO²-Speicher taugt. Deshalb plädiert er für einen reinen Naturwald mit so wenig menschlichem Eingriff wie möglich und verweist auf internationale Studien, die belegen, dass unbewirtschaftete Wälder die größten CO²-Senken sind.

In eine ähnliche Richtung gehen die Vorschläge von Natur- und Umweltschutzverbänden für ein neues Bundeswaldgesetz von Anfang Oktober 2023. Sie fordern „forstliche Grundpflichten für alle Waldbesitzenden“. Schädliche Praktiken wie die Entwässerung von Wäldern, die flächige Befahrung oder Kahlschläge sollten beendet und nicht mehr staatlich gefördert werden, heißt es. Stattdessen solle Ibischs Konzept der Stärkung natürlicher Prozesse wie der Naturverjüngung gefördert werden.

Doch die Waldrettung à la Ibisch trifft nicht überall auf Gegenliebe. Viele Waldbesitzer:innen sehen nicht ein, warum sie den Wald sich selbst überlassen – und auch nicht, warum sie keine Nadelbaum-Monokulturen mehr pflanzen – sollen. Waldbesitzerverbände weisen die Forderungen der Naturschützer:innen zurück. Ihre Mitglieder leben von der Baumernte. Und Nadelbäume sind weitaus profitabler als viele Laubbaumarten. Andreas Bitter, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, erklärte, die Ideen der Umweltverbände würden den Anforderungen der Anpassung der Wälder an den Klimawandel „in keiner Weise gerecht“.

Nicht alle Waldexpert:innen schlagen sich bei der erbitterten Debatte zwischen den Befürwortenden eines naturbelassenen versus bewirtschafteten Waldes eindeutig auf eine Seite. Erstere wollen die Wälder am liebsten wieder zu Ökosystemen mit möglichst geringen menschlichen Eingriffen machen, die anderen glauben, dass sie als Rohstofflieferanten gebraucht werden, und wollen den Wald mit gezielter Bewirtschaftung klimafit machen. Und dann gibt es natürlich noch jene Waldbesitzer:innen, die am liebsten überhaupt nichts an den herkömmlichen Forstkonzepten ändern würden.

Klar ist: Niemand hat ein Pauschalrezept. Dennoch ist ein Weiter-so unter den neuen klimatischen Bedingungen nicht mehr möglich, alle müssen wieder einen Schritt auf die Natur zugehen. Wie weit man dabei gehen muss, ist allerdings umstritten – auch in der Forschung. Dort fragen sich Expert:innen: Kann man den Wald nach Jahrhunderten der Bewirtschaftung sich selbst überlassen? Besitzt die Natur wirklich Selbstheilungskräfte oder haben wir schon zu viel zerstört?

Der Forstwissenschaftler Henrik Hartmann hält eine Mischung aus beiden Ansätzen – Naturwald und bewirtschafteter Wald – für sinnvoll, denn niemand wisse genau, wie der Klimawandel den deutschen Wäldern in 50 Jahren zusetzt. Hartmann, der seit Ende vergangenen Jahres das Julius Kühn-Institut für Waldschutz in Quedlinburg leitet, weist darauf hin, dass die Wälder schon heute anfälliger seien als bisher gedacht. In Studien hat er belegt, dass 60 Prozent der Biomasse in europäischen Wäldern klimabedingten Risiken ausgesetzt ist – und warnt, dass solche Wälder in ihrer jetzigen Form ohne menschliche Hilfe nicht überleben können.

Für die Anpassung an den Klimawandel müsse man eine Vielfalt von Baumarten anpflanzen, die längerfristig Fichten- und Kiefernmonokulturen ersetzen, meint der Wissenschaftler. Dazu zählen auch Weiden und Pappeln – also das, was wild auf den Flächen von Pierre Ibisch nachwächst. Hartmann kann dessen Frust in Teilen nachvollziehen: Wenn Waldbesitzer:innen ihre Flächen nach einem Brand oder Borkenkäferbefall einfach wieder mit denselben Arten bepflanzen, mache das wenig Sinn. Sie müssten zuerst Klimamodelle konsultieren und überlegen, welche Baumarten in Zukunft am besten abschneiden. Würde einfach wieder unkoordiniert aufgeforstet, könnte das zur nächsten Katastrophe führen.

Mit künstlicher Intelligenz zum Wald der Zukunft

Wie Waldbesitzenden bei einer klimaangepassten Aufforstung geholfen werden kann, ist das Forschungsgebiet von Fabian Fassnacht. Zusammen mit einem Team entwickelt der Professor für Fernerkundung und Geoinformatik an der Freien Universität (FU) Berlin eine App für die Klimaanpassung von Wäldern. Mit Algorithmen und Satellitenbildern sollen Waldbesitzende erkennen, welche Baumarten künftig die besten Chancen haben, auf ihren Flurstücken unter veränderten Klimaverhältnissen zu wachsen. „Unsere Forschung soll helfen, die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen“, sagt Fassnacht, der sein Büro auf dem FU-Campus in Berlin-Lankwitz hat.

Denn viele Waldbesitzer:innen wüssten gar nicht so genau, wie geschädigt ihre Bäume sind, oftmals kennen sie auch nicht die genauen Anteile der verschiedenen Baumarten. Und noch ratloser seien die meisten, wenn es darum geht, wie sie ihren Wald nachhaltig aufforsten sollen. „Jeder Standort ist anders und bietet andere Boden- und Wetterbedingungen“, so Fassnacht. Pauschal kann also niemand Ratschläge geben, welche Baumarten Mitte des Jahrhunderts an einem Ort gut wachsen werden. 

Die App soll Abhilfe schaffen. „Wir versuchen, möglichst viele Daten einzuspeisen, um dem Status quo so nahe wie möglich zu kommen und dann mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz das zu erwartende Waldwachstum zu simulieren und Zukunftsszenarien zu schaffen“, erklärt Fassnacht. Auf seinem Rechner zeigt er erste Entwürfe des Interface. In einem Formular können Waldbesitzende Standort und Größe ihrer Waldstücke angeben. Und dann kommen Satellitenbilder ins Spiel. Fassnacht zeigt eine Karte mit roten, gelben und grünen Flächen und Punkten, die unterschiedliche Baumarten auf dem Grundstück markieren. Eine Künstliche Intelligenz markiert sie und erkennt sogar, in welchem Zustand sie sind.
 

Wir versuchen, möglichst viele Daten einzuspeisen, um dem Status quo so nahe wie möglich zu kommen und dann mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz das zu erwartende Waldwachstum zu simulieren und Zukunftsszenarien zu schaffen.

Fabian Fassnacht

Derzeit müssten die Forscher:innen die Künstliche Intelligenz noch trainieren, denn noch kann sie ähnliche Baumarten nicht immer auseinanderhalten. Ein zweites Team der Universität München speist zudem Boden- und Wetterdaten in die App ein – und schließlich wird mithilfe vorhergesagter Klimadaten und einem Waldwachstumsmodell der Zustand des Waldstücks in die Zukunft projeziert. „Am Ende sollen die Waldbesitzer:innen dann konkrete Empfehlungen erhalten, wo sie welche Baumarten in welcher Zusammensetzung pflanzen können.“ Dabei berücksichtigt die App Risiken für Stürme, Starkregen und Dürren sowie allgemein steigende Temperaturen und längere Sommer. „Ganz vermeiden lassen sich Einbußen in Zukunft nicht, doch eine durchdachte Mischung der Arten kann die Wälder widerstandsfähiger machen“, ist sich Fassnacht sicher.

Nutzer:innen können auch angeben, welche Art von Wald sie sich wünschen – eher einen naturnahen oder doch einen stärker bewirtschafteten Wald. Sogar Gewinnerwartungen können sie einbeziehen. Denn die Profite für die Hölzer sind auf dem Markt durchaus verschieden.

Nur eines würde die App sicher nie empfehlen: eine Monokultur. „Diese Zeiten sind für immer vorbei“, meint Fassnacht. Im Streit zwischen Natur- und Wirtschaftswald will sich der ehemalige Förster nicht auf eine Seite schlagen. Er glaubt, dass man beides brauche – Holz als Rohstoff und mehr Vielfalt und Biodiversität. „Das muss sich aber nicht immer ausschließen, wenn man die Wälder klug bewirtschaftet“, sagt er.

Stand: März 2024