Ein Tag mit Maria Warter

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Flüsse, Seen und Teiche leiden unter steigenden Temperaturen. Die Ökohydrologin Maria Warter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei zieht mit Eimer und Messgeräten von Gewässer zu Gewässer, um deren Wasserstoff- und Sauerstoff-Isotope zu untersuchen und ihre Vitalfunktionen besser zu verstehen. Aus den Daten ihrer Feldarbeit erarbeitet das internationale Forschungsprojekt „BiNatUr – Bringing nature back“ Empfehlungen für Schutzmaßnahmen und Vorschläge für naturbasierte Lösungen, um Städte wie Antwerpen, Posen und Berlin durch Gewässer und Feuchtgebiete klimaresilienter, biodiverser und nachhaltiger zu machen. ALBERT hat die Postdoktorandin einen Tag lang an Berliner Flüsse und Seen begleitet

Text: Daniel Kastner

7:55

Maria Warter klappt ihren Fantasyroman zu und steigt aus der Straßenbahn. Es wird ein kühler, aber schwüler Spätsommertag.

7:59

Per Plastikchip betätigt sie den Türöffner zum „Rieseler“. Das Backsteingebäude beherbergte einst einen Teil des Wasserwerks Berlin-Friedrichshagen. Ab 1906 rieselte hier Wasser aus dem Müggelsee durch eine dicke Sandschicht, bevor es als Trinkwasser weiter Richtung Berlin geschickt wurde.

8:04

In einem unangenehm warmen Laborraum packt Maria Warter Material für die heutige Probenentnahme zusammen: einen schwarzen Eimer mit einem langen Seil, Plastikröhrchen, Spritzen, münzgroße Filterscheiben und Messsonden mit Digitalanzeige.

8:14

Sie verstaut die Ausrüstung auf dem Rücksitz des Dienstautos, stöpselt es vom Ladekabel ab, legt das Fahrtenbuch auf den Beifahrersitz und fährt los. Bis zum ersten Ziel sind es gut 45 Minuten. Die Wasserproben, die sie heute nehmen wird, werden später im Labor chemisch analysiert. Sie macht diese Tour einmal im Monat.

8:25

Unterwegs erzählt sie von ihrem Forschungsprojekt. Ihre Arbeitsgruppe will besser verstehen, wie Gewässer funktionieren. Die Wasserstoff- und Sauerstoff-Isotope eines Flusses oder Sees geben Aufschluss darüber, wo sein Wasser herkommt, wie Wasserflüsse entstehen, Grundwasser neu gebildet wird – und wie sich Vegetation, Landnutzung, Urbanisierung und Klimawandel auf all das auswirken. „Jedes Gewässer hat seine eigene Signatur“, sagt sie. Daraus kann sie Empfehlungen ableiten, wie es zu schützen und zu stärken wäre, damit es zu Klimaresilienz und Artenvielfalt in der Stadt beitragen kann.

9:01

Sie stellt das Auto neben einem Park in Berlin-Hohenschönhausen ab. Als Erstes läuft sie zum Obersee. Der wurde Ende des 19. Jahrhunderts künstlich angelegt und sollte eine Brauerei mit Eis versorgen. Er besitzt weder Zu- noch Abfluss. Wasser versickert nicht, sondern verdunstet nur. Der See schimmert grünlich. „Der Regen der letzten Wochen hat den Pegel wieder steigen lassen“, sagt Maria Warter und stellt ihre Ausrüstung auf einer Parkbank ab.

9:05

Als sie den Eimer in den See wirft, flattern Stockenten unter Protestgeschnatter davon. Maria Warter zieht ihn am Seil wieder heraus, lässt das Wasser ein wenig darin schwappen und kippt es zurück in den See. Dann wirft sie den Eimer erneut aus.

9:07

Sie zieht Probenwasser auf Spritzen auf und presst es durch die Filterscheiben in die Plastikröhrchen, um gelöste Partikel zurück-zuhalten, die das Analysegerät verstopfen könnten. Plötzlich spritzt ihr Wasser ins Gesicht. „Der Filter hat sich schon zugesetzt“, sagt sie. Sie schraubt ihn ab. Auf die Plastikscheibe hat sich ein grüner Film gelegt: Algen.

9:11

Sie taucht die Sonde in den Eimer, um Temperatur, pH-Wert und Sauerstoffgehalt zu messen. Später im Institut will sie die Werte mit denen der Vormonate vergleichen. Die Sauerstoffsonde meldet einen Fehler. Nach drei Versuchen gibt sie auf. Der August muss ohne Sauerstoffwerte auskommen.

9:20

Ein kurzer Fußmarsch führt sie zum Orankesee. Sein Wasser ist viel klarer, durch den Wind kräuseln sich Wellen auf der Oberfläche. Der künstlich aufgeschüttete Sandstrand gegenüber ist menschenleer. Sie wirft auch hier den Eimer aus.

10:02

Nach einem kurzen Stopp am Supermarkt parkt Warter in Berlin-Marzahn vor einem Plattenbau-Wohnhaus und trägt ihr Equipment über eine zottige Wildwiese, vorbei an einem Spielplatz.

10:10

Mit dem Eimer in der Hand stolpert sie eine Böschung hinab. Das hohe Gras ist nass, ihre Hosenbeine bald auch. Die Wuhle ist im zugewucherten Graben kaum zu sehen. Sie schmeißt den Eimer ins Schilf. Als sie ihn herauszieht, ist das Wasser fast schwarz. Sie schnuppert, es riecht leicht nach faulen Eiern.

10:13

Jogger und Nordic Walker laufen vorbei und grüßen, als sie die Brühe in Röhrchen füllt. Doch der Anblick täuscht: Die Wuhle wird im Gegensatz zu Panke und Erpe nicht mit geklärtem Abwasser künstlich aufgefüllt. Dafür kann der Fluss in heißen Sommern streckenweise trockenfallen.

10:44

Nächster Halt: Gärten der Welt. Unter den argwöhnischen Augen eines Fahrradausflüglers zieht Maria Warter ihren Eimer vor dem Umweltbildungszentrum aus dem Wuhleteich. Sie zeigt auf grüne Schlieren an der Wasseroberfläche. Vermutlich sind es Blaualgen, das bringt die Erwärmung mit sich.

11:15

Auf der Rückfahrt zum Institut kratzt sie sich am Handgelenk. „Jetzt hat mich doch eine Mücke erwischt“, sagt sie.

11:50

Zurück im Labor stellt sie die Probenfläschchen in Kühlschränke, spricht mit Kolleg:innen, schaut im Sekretariat vorbei, grüßt Mitarbeiter auf dem Flur, bespricht die kommenden Touren.

12:40

Zur Mittagspause setzt sie sich auf eine Bank am Ufer des Müggelsees, klappt ihre Brotbox auf und kaut Stullen und Paprika. Draußen auf dem See schimmert die Forschungsstation des Instituts im diffusen Sonnenlicht. Grüne Schlieren ziehen durchs Wasser, auch hier gedeihen die Algen, auch hier war es zu warm.

13:05

Maria Warter fährt ihren Computer hoch. Die heute gemessenen Daten trägt sie in ein Excelsheet ein. Sie ruft ein anderes Forschungsprojekt aus Brandenburg auf, wo Forschende ähnliche Phänomene beobachten wie an den Berliner Flüssen. „Seit dem Dürresommer 2018 hat sich der Grundwasserspiegel in der Region nicht wieder erholt.“

13:45

Maria Warter beantwortet E-Mails, liest den Entwurf einer Bachelorarbeit, notiert Anmerkungen und Literaturvorschläge.

14:12

Im Nachbarzimmer druckt sie einen Kartenausschnitt des Spreewalds aus – dort wird sie morgen für ein anderes Projekt Wasserproben nehmen. Ein Kollege hat darauf Orte markiert. „Hoffentlich kommen wir überall ans Ufer“, sagt sie. Manchmal stehen die Wissenschaftler:innen plötzlich vor eingezäuntem Privatgelände.

15:03

Mit einem Kollegen bespricht sie die Tour. „Also treffen wir uns morgen früh um 8 hier, ja?“, fragt sie auf Englisch. Sie werden sich in drei Teams aufteilen.

15:10

Maria Warter klebt Etiketten auf die Probenröhrchen für morgen. Datum und Ort stehen in Druckschrift darauf.

15:16

Sie fährt den Rechner herunter.

15:28

Im Labor sucht sie die Utensilien für die Spreewaldtour zusammen, unter anderem Filter, Probenflaschen, Gummistiefel.

15:40

Feierabend. An der Wendeschleife wartet Maria Warter auf die Tram und vertieft sich wieder in ihr Buch. Am Abend wird sie noch joggen gehen – vorbei an den Wasserspeiern des Märchenbrunnens im Volkspark Friedrichshain.

Stand: März 2024