Guter Stoff

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist eines der Schlüsselelemente, um die CO2-Emissionen des Energiesystems auf null zu reduzieren. Doch der Einsatz des aufwendig herzustellenden Rohstoffs muss gut durchdacht sein. Das Einstein-Forschungsvorhaben „Open-source modeling of the future role of renewable hydrogen in Germany and Europe“ erarbeitet Szenarien für seine Nutzung in Deutschland und Europa

Text: Konstantin Löffler und Christian von Hirschhausen

Wenn wir die gesetzten Klimaziele erreichen wollen, braucht es ein massives Umdenken über die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen, sie umwandeln, speichern und verbrauchen. Denn der Energiesektor macht über 70 Prozent der globalen CO²-Emissionen aus. Wir benötigen nicht weniger als eine Transformation hin zu einem Energiesystem, das zu 100 Prozent auf erneuerbaren und nachhaltigen Energieformen basiert.

Wasserstoff hat das Potenzial, als Energieträger der Zukunft die Lücke zu schließen, die andere erneuerbare Energien wie Sonne und Wind hinterlassen. Die Herstellung von Wasserstoff mithilfe von Elektrolyse aus Wasser und erneuerbarem Strom ermöglicht die Speicherung und den Transport von Energie in Zeiten, in denen erneuerbare Quellen und andere Flexibilitätsoptionen nicht verfügbar sind. Die Wasserstoffproduktion kann helfen, die Flexibilität im Energiesystem zu steigern und somit das Problem von nur zeitweise verfügbaren Energiequellen zu lösen.

Heutzutage wird 99 Prozent des Wasserstoffs weltweit durch die Aufspaltung von fossilen Brennstoffen erzeugt. Allein im Jahr 2021 hat die fossile Erzeugung von Wasserstoff 900 Millionen Tonnen CO² verursacht – oder rund 9,5 Tonnen CO² pro Tonne Wasserstoff. Zwar werden seit Langem CO²-Abscheidemaßnahmen erprobt, die das entstehende Kohlenstoffdioxid einfangen sollen, jedoch ist der Fortschritt hier mäßig und die Technik bisher nicht in der Lage, alle der Emissionen aufzunehmen.

Rein erneuerbarer Wasserstoff hingegen wird durch Elektrolyse von Wasser erzeugt. Hierbei wird das Wasser mithilfe von erneuerbarem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgetrennt, wonach er entweder direkt eingesetzt oder gespeichert werden kann. Durch die dafür nötigen Prozessschritte entstehen jedoch signifikante Umwandlungsverluste, unter anderem in Form von Abwärme. Dies bedeutet, dass Technologien, die auf Wasserstoff als Energieträger setzen, oftmals um ein Vielfaches weniger effizient sind als die direkte Nutzung von Strom für beispielsweise Wärmeerzeugung oder Fortbewegung. Insgesamt ist die benötigte Energiemenge um ein Zwei- bis Dreifaches höher als bei direkter Nutzung des Stroms. Dafür bietet Wasserstoff eine deutlich höhere Flexibilität in Bezug auf seine Speicherbarkeit sowie eine mehr als 100-mal höhere Energiedichte als Batterien, was zum Beispiel für gewichtsbeschränkte Anwendungen wie in der Luftfahrt relevant ist.

Dies sind einige der Kernfragen im Umgang mit Wasserstoff, mit denen sich das Einstein-Forschungsvorhaben „Open-source modeling of the future role of renewable hydrogen in Germany and Europe“ auseinandersetzt. Wir wollen berechnen, welche Rolle erneuerbarer Wasserstoff für eine nachhaltige Energieversorgung spielen kann – und wo er Anwendung finden sollte.

Wasserstoff hat das Potenzial, als Energieträger der Zukunft die Lücke zu schließen, die andere erneuerbare Energien wie Sonne und Wind hinterlassen

Hierfür werden drei Modelle der Technischen Universität (TU) Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) miteinander verknüpft. Sie decken unterschiedliche Bereiche ab: Das Marktmodell „Global Gas Model – H²“ berechnet den zukünftigen Weltmarkt für Wasserstoff, inklusive Marktangebot von erneuerbarem Wasserstoff aus verschiedenen Ländern und zu erwartende Preise. Das Energiesystemmodell „GE-NeSYS-MOD“ berechnet die Nachfrage nach Wasserstoff in den verschiedenen Sektoren des Energiesystems für Europa und das Stromsektormodell „DIETER“ analysiert die Effekte auf den Stromsektor und notwendige Investitionen in Technologien in Deutschland.

Für sich genommen sind die drei Modelle bereitsvetabliert, doch die Kopplung in unserem Projekt bietet ganz neue Möglichkeiten zur Beantwortung komplexerer und umfassenderer Fragestellungen zu Erzeugung, Verwendung und Verfügbarkeit von erneuerbarem Wasserstoff im Energiesystem der Zukunft. Alle drei Modelle und sämtliche Datensätze des Projekts sind im Sinne offener und transparenter Wissenschaft frei verfügbar.

Unsere bisherigen Forschungsergebnisse zeigen bereits, dass Wasserstoff eine wichtige Rolle für das zukünftige Energiesystem spielen wird – von aktuell quasi null Prozent wird Wasserstoff im Jahr 2050 nach unseren Berechnungen rund 12 bis 15 Prozent der Endenergienachfrage ausmachen. Die häufig diskutierte „Wasserstoff-Gesellschaft“, in der eine pauschale Umstellung auf Wasserstoff als Energieträger erfolgt, ist jedoch auszuschließen. Dafür sind die zuvor genannten Umwandlungsverluste zu hoch, weil für die gleiche Energienachfrage drei- bis fünfmal mehr Installationen von Solar- und Windenergie erforderlich wären. Im Bereich der Gebäudewärme bedeutet das beispielsweise eine vier- bis fünffach höhere Produktion erneuerbaren Stroms, im Verkehrssektor wären es drei- bis sechsmal so viel. Das ist schlicht nicht rentabel.
 

Die häufig diskutierte „Wasserstoff-Gesellschaft“, in der eine pauschale Umstellung auf Wasserstoff als Energieträger erfolgt, ist jedoch auszuschließen. Dafür sind die zuvor genannten Umwandlungsverluste zu hoch

Stattdessen zeigen die Modellergebnisse klar, dass der kostbare Energieträger Wasserstoff primär dort verwendet werden sollte, wo eine direkte Elektrifizierung sehr kostspielig wäre oder anhand des aktuellen technischen Stands nicht möglich ist. Dies ist beispielsweise in der Industrie oder der Luftfahrt der Fall, in der aufgrund der Einschränkungen bei der Energiedichte von Batterien längere Flugstrecken nicht elektrifiziert werden können. Auch im Stromsystem kann Wasserstoff die notwendige Flexibilität bieten, um Versorgungslücken zu schließen und so Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Schwankungen und Flauten der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien können dann beispielsweise durch die Speicherung von Wasserstoff ausgeglichen werden. Doch erneuerbarer Wasserstoff ist keine Alternative zu Solar- und Windenergie. Er ist immer nur eine Ergänzung, da in den meisten Fällen eine direkte Nutzung des Stroms in den entsprechenden Technologien sinnvoller ist. Dennoch ist er ein elementarer Bestandteil der Energiewende.

Expert:innen

Christian von Hirschhausen ist Leiter des Fachgebiets für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität Berlin, Konstantin Löffler wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sie leiten das Einstein-Forschungsvorhaben „Open-source modeling of the future role of renewable hydrogen in Germany and Europe“, an dem auch Wissenschaftler:innen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung beteiligt sind. Das Projekt läuft bis November 2024.

Stand: März 2024