In der indonesischen Küstenstadt Semarang sind Überflutungen an der Tagesordnung. Im armen Stadtviertel Tambaklorok versuchen NGOs, Wissenschaftler:innen und Lokalverwaltungen, Strategien der Anpassung umzusetzen. Doch wie nachhaltig können die Versuche sein, diese Küstengebiete und die dort lebenden Menschen vor dem Absinken zu retten?
Text: Felicitas Hillmann und Wiwandari Handayani
Das Gebiet von Semarang, einer 1,7-Millionen-Metropole an der Nordküste der indonesischen Insel Java, gehört zu den tief liegenden Küstenzonen (low elevation coastal zones). Weltweit leben zwischen 400 und 600 Millionen Menschen in diesen Gebieten, die durch den Klimawandel massiven Umweltveränderungen und Bevölkerungsdynamiken ausgesetzt sind. In Semarang sind es fast 840.000 Menschen. Wie in vielen Gegenden des Inselstaates Indonesien ist die Situation dramatisch. Die Lebensgrundlagen werden durch Überflutungen, Erosion und Versalzung des Grundwassers zerstört. An den Küsten Nordjavas wurden neue Monitoringsysteme zur Einordnung der Gefahrenlage eingerichtet und auf Community-Ebene neue Partizipationsformen entwickelt, um mit den Umweltveränderungen besser umgehen zu können. In Jakarta wird über eine floating city nach dem Modell der Niederlande und Südkoreas diskutiert, man experimentiert dort bereits mit schwimmenden Häusern. Für Semarang ist eine Seawall beschlossen und befindet sich im Bau. Sie soll die Erosion aufhalten und zu einer Stabilisierung der Küsten beitragen. In der Stadt sind viele Gebiete schon heute von steten Überflutungen bis zu einem Meter Höhe betroffen. Was bedeuten diese Veränderungen konkret für die dort lebenden Menschen?
In der Stadt sind viele Gebiete schon heute von steten Überflutungen bis zu einem Meter Höhe betroffen
2013 nahmen wir an, dass wir insbesondere in den von Überflutungen stark betroffenen Küstengebieten viel über zukünftige Abwanderungsmuster würden lernen können. Wir legten ein 240 Haushalte umfassendes Survey an, dokumentierten und sprachen mit Expert:innen. Unsere Untersuchungen zeigten, dass es kaum Abwanderung gab. Im Gegenteil: Semarang boomte und lockte sogar mehr Menschen an, gerade in Gebiete, die bereits mit starker Degradation kämpften, wie der Subdistrict Tambaklorok, der traditionell von der Fischerei lebte. Vor allem junge Arbeiter:innen zogen zur Untermiete zu, um in den nahegelegenen Fabriken zu arbeiten.
Wir verstanden, dass die Überschwemmungen durch die Kombination von Grundwasserentnahme, Gezeiten und mehr Starkregen entstanden. Seit der Kolonialzeit hatte man in Semarang auf Schwemmland gebaut, die Niederländer hatten Bewässerungssysteme angelegt. Diese Mischung wirkte sich nun, in Verbindung mit dem steigenden Meeresspiegel und den veränderten Regenfallmustern, auf die Lebensbedingungen aus. Mancherorts sackten die Böden in sich zusammen. Im Schnitt senkten sich die Häuser um 13,5 Zentimeter im Jahr ab, die Gezeiten wurden seit circa 2014 stärker und überfluteten zwei bis drei Mal pro Woche die Häuser.
Doch die Menschen blieben. Die Stadtverwaltung legte die Hauptstraßen höher und die Menschen vor Ort trotzten den Veränderungen, indem sie in ihre Häuser neue Böden einzogen und sich damit gewissermaßen einen Stock höher ins Trockene retteten. So eine Aufstockung kostet bis zu 70 Millionen Indonesische Rupien, rund 4.200 Euro, bedeutet also eine große Investition, für die die Bewohner:innen Kredite aufnehmen oder Geld bei Nachbar:innen leihen müssen. Im tataban, einem Speicherplatz unter dem Dach, lagern die Einwohner:innen ihre wertvollen Sachen.
Vereinzelt erklärten Wissenschaftler:innen diese Resilienz zum Verbleib in den damals bereits bedrohten Gebieten mit fehlenden Ressourcen zur Abwanderung. Doch nicht nur das. Auch aufgrund anderweitig fehlender Ressourcen haben die Menschen solche Resilienzmethoden entwickelt. Sie tun alles, um bleiben zu können. In unseren Studien sprachen sie von einer mental distance, davon, dass Umsiedlung, schon gar internationale Wanderung, für sie keine Option sei. Neuere Studien bestätigen diese Einstellungsmuster und sprechen von attachment to place – einer besonderen Verbundenheit zum gewohnten Lebensumfeld.
Als wir 2013 unsere Untersuchungen in Tambaklorok durchführten, war das gesamte Gebiet mit Plastikmüll übersät. Anwohner:innen, Tiere – sie alle lebten im Abfall, ohne Kanalisation. Die Fischer fischten im Dreckwasser und trockneten ihren Fang auf staubigem Boden – jenseits jeglicher Hygienestandards. Der Stadtteil hatte einen schlechten Ruf. Jede Flut brachte neuen Müll.
Fünf Jahre später kehrten wir zurück, für ein Joint Seminar mit Studierenden der Technischen Universität Berlin und der Universitas Diponegoro in Semarang. Die Lage in Tambaklorok war desolat. Der Plastikmüll türmte sich auf, das Wasser war nach wie vor verdreckt. Dennoch wurde weiter vor Ort im Brackwasser gefischt. Die Bewohner:innen selbst sammelten den Müll zur Aufstockung ihrer Häuser. Stunting – die Mangelernährung und Fehlentwicklung von Kindern in den ersten 1000 Tagen des Lebens – war weit verbreitet. Man schätzte, dass weniger als zwei Prozent der Kinder in Tambaklorok einmal zur Universität gehen würden. Es gab eine hohe Zahl an Teenagerschwangerschaften. Die Perspektive des Absinkens des Stadtviertels deprimierte die Menschen wie auch die Planer:innen und Politiker:innen zu sätzlich. Nachdem Präsident Joko Widodo das Gebiet 2018 besucht hatte, verschwand es politisch von der Landkarte. Das Gebiet und seine Bewohner:innen – so erklärte es uns eine Aktivistin – wurden von der Politik aufgegeben. Doch das Jahr war zugleich ein Wendepunkt in der Geschichte von Tambaklorok.
Unter anderem gab es ein neues Projekt namens Floating House, das ein Modellprojekt für die mögliche Anpassung an die Überschwemmungen sein sollte. Dort wurde eine Kinderbibliothek eingerichtet, das Haus sollte soziale Funktionen für den Subdistrict übernehmen. Das Projekt war zugleich ein Experiment, ein Vorläufer der floating cities, wie sie auch in der Hauptstadt Jakarta ausprobiert werden.
Als wir im Oktober 2023 erneut in Tambaklorok sind, hat sich viel geändert. Plastikmüll liegt kaum noch auf den Straßen, das Wasser ist sauberer, es gibt einen überdachten Markt und neue wirtschaftliche Aktivitäten in Form von Muschelverarbeitung. Wie lief die urbane Transformation ab?
Angestoßen wurden die Veränderungen weniger von der Politik als durch NGOs, Wissenschaftler:innen und einzelne lokale Institutionen vor Ort. Maßgebliche Vorreiter:innen im Stadtteil waren Frauen. Die verschiedenen Akteur:innen begannen über das Toilettenproblem zu sprechen, über die Notwendigkeit, selbst etwas zu unternehmen. Die Aktivist:innen stießen auf starken Widerstand in der Bevölkerung. Alteingesessene Clans im Stadtgebiet zeigten kein Interesse an Veränderungen. Nur ein kleiner Teil des Subdistricts machte zunächst doch mit. Die Frauen setzten bewusst auf andere Frauen, sie versprachen, den Ort zu einer Touristenattraktion zu machen und Saatgut für urban gardening zu besorgen. Als Erstes wollten sie durch eine Umbenennung des Stadtteils vom schlechten Image weg. Tambaklorok wurde in Tambak Mulyo und Tambak Rejo umbenannt.
Wir hörten, dass viele junge Leute schon fort waren, aber die Älteren, die Fischer, dablieben. Für die Jungen ist die Arbeit in der Fischerei nicht mehr attraktiv, weil die Arbeit in den umliegenden Fabriken oder das Kleingewerbe am Straßenrand leichter fällt und mehr einbringt. In unmittelbarer Nähe wurden den Einwohner:innen Umsiedlungsmöglichkeiten angeboten – jedoch ohne die Möglichkeit, das Land auch zu kaufen, und zudem ebenfalls auf sinkendem Grund gebaut. Eine 2020 angefertigte Kartierung zeigte das Müllproblem in seinem enormen Ausmaß. Es war erlaubt, überall Müll und Abwasser zu hinterlassen. Die NGOs drängten die Verwaltung daraufhin zur Einrichtung kommunaler Toiletten. Es wurden Lokalverwaltungsgruppen eingerichtet, die für die Umsetzung des Toilettenprojektes und für das Umweltmanagement verantwortlich waren. Die Aktionen wurden von BUGI, einem Zusammenschluss von indonesischen Studierenden in Deutschland, unterstützt. Der Gebrauch von Düngern und Pestiziden wurde bei Fokusgruppensitzungen für das urban gardening als schädlich dargestellt, außerdem rainforesting propagiert, um die Bewässerung der urban gardens zu erleichtern. Man begann mit Abfallmanagement, eine Biogasanlage wurde an den öffentlichen Toiletten installiert. Eine der NGOs (LPUBTN) bemühte sich, den Einwohner:innen Ausbildung, Selbstermächtigung und Solidarität näherzubringen, und kümmerte sich um Bewusstseinsbildung zu globalen Prozessen und deren lokalen Folgen. „Die Bewohner:innen wissen sehr genau, dass die Überflutungen zunehmen”, so eine der Aktivistinnen, „doch sie weigern sich, dies auch wahrzuhaben.”
Man unterstützte das Säubern des Gebietes dadurch, dass man für den eingesammelten Müll nach Gewicht bezahlte – eine Hauptmotivation für die Einwohner:innen, an der Maßnahme teilzunehmen. Der Plastikmüll wurde zur Wastebank gebracht, aus den Erlösen wurden Pflanzen für die Bewohner:innen angekauft. Die Wastebank wandelte den Biomüll in Kompost um und stellte ihn den Bewohner:innen zur Verfügung. An der Hauptstraße legte man community gardens an. Man kaufte auch Mangrovensämlinge, die im Brackwasser vor der in Errichtung befindlichen Seawall gepflanzt werden sollen. So soll sie auf natürliche Weise unterstützt werden, denn man weiß um den Konflikt, dass die Konstruktion den Fischern die Lebensgrundlage nehmen könnte. Die Seawall wird gebaut, obwohl man weiß, dass sie die Fischerei einschränken wird und die Problematik des Absinkens des Stadtteils nicht verhindern kann.
Eine Aktivistin sagte: „Wenn dir der Boden unter den Füßen wegsinkt, dann sinkst du auch mental“, dagegen wollten sie anarbeiten. Seit einige Projekte 2020 erste Preise bei nationalen Wettbewerben gewannen, sind die Aktivist:innen nicht mehr zu stoppen. Lokalpolitiker:innen kommen wieder in das Gebiet, viele Bewohner:innen kümmern sich um die community gardens. Es kommen sogar Arbeiter:innen von außerhalb wieder in den Stadtteil, um für weniger Lohn als die Bewohner:innen in der Fischerei zu arbeiten. Was wir auch hörten, war, dass das dicht besiedelte Gebiet jeweils vor den Wahlen von den lokalen Politiker:innen durch Versprechungen, Geld und konkrete Projekte beeinflusst wurde.
Jedoch: Als wir Ende Oktober das Gebiet wieder besuchen, sind bereits einige der angelegten Gärten trockengefallen. Man muss befürchten, dass die eingeführten Verbesserungen nicht nachhaltig sind. Das Absinken der Häuser hat lokale Interventionen provoziert, von denen viele vollständig im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen sind, und es hat Anstöße zur Entwicklung des Gebietes gegeben. Doch viele Anwohner:innen bleiben skeptisch gegenüber den Neuerungen, etwa dem Floating House oder den community gardens, und tragen sie häufig nicht mit. Sie sehen keinen unmittelbaren Nutzen für sich selbst. Langfristige Planung ist für Menschen, die auf sinkenden Sedimenten leben, Luxus – das zeigt das Beispiel Tambaklorok lupenrein. Es wäre verkehrt, hier unsere Maßstäbe von Nachhaltigkeit anzulegen. Und dennoch: Wir sehen bei unserem Besuch auch im Bau befindliche dreistöckige Häuser. Es handelt sich dabei um Investitionen in eine Zukunft, von der die Bewohner:innen wissen, dass sie auf Sand gebaut ist.
Expert:innen
Felicitas Hillmann leitet am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin das Projekt „Paradigmenwechsel_Weiterdenken” und das nups-Netzwerk internationaler Migrationsforscher:innen. Im Herbst 2023 war sie zudem als Adjunct Professor an der Universitas Diponegoro im indonesischen Semarang tätig. Hier forscht und lehrt auch die Professorin Wiwandari Handayani, Direktorin des Department of Urban and Regional Planning. Beide haben 2014–2017 im Projekt „New regional formations: environmental change and migration in coastal areas in Ghana and Indonesia” (finanziert von der VolkswagenStiftung) zusammengearbeitet.
Stand: März 2024