Durch Extremregenereignisse erleben wir die Auswirkungen des Klimawandels auch in Deutschland. Gefahrenkarten können helfen, Vorsorge zu treffen. In Berlin wurden sie endlich öffentlich gemacht, andere Bundesländer müssen nun folgen.
Ein Plädoyer von Christian Calliess
Die Bewältigung des Klimawandels ist eine der großen politischen Herausforderungen unserer Zeit. Die bisherigen Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels konzentrieren sich in erster Linie auf Strategien zur Reduktion der Treibhausgasemissionen (Mitigation), zunehmend aber auch auf die Bewältigung der Auswirkungen der Erderwärmung durch Anpassung an den Klimawandel (Adaptation). Die deutsche Anpassungsstrategie gegen den Klimawandel umfasst Instrumente, die die Auswirkungen des Klimawandels auffangen und schwere Folgen vermeiden helfen sollen, vor allem in den Bereichen der Stadt- und Landschaftsplanung und des Hochwasserschutzes.
Extremregenereignisse zählen zu den frühesten, sichtbarsten und spürbarsten Folgen der fortschreitenden Klimakrise in Deutschland. Nicht zuletzt deshalb erkennt das im März 2023 von derBundesregierung beschlossene Nationale Aktionsprogramm Wasser an, dass „Überflutungsrisiken durch häufiger auftretende Starkregenereignisse intensiver betrachtet und in Planungen berücksichtigt werden [müssen]“, und fordert eine bundeseinheitliche Verpflichtung, Gefahren- und Risikokarten zu erstellen und zu veröffentlichen – „zum Schutz vor lokalen Überflutungen nach Starkregenereignissen“.
Solche Starkregengefahrenkarten sind unerlässlich, um individuell Vorsorge zu treffen und Risiken zu mindern. Dennoch trifft ihre Veröffentlichung in Deutschland mitunter auf Hemmnisse, die vor allem auf datenschutzrechtlichen Bedenken beruhen. Das Land Berlin hat es nun endlich geschafft, Einwände der Datenschutzbeauftragten angesichts der zunehmenden Extremregenereignisse zu überstimmen und die vorliegenden Starkregengefahrenkarten zu veröffentlichen.
Diese Praxis muss sich aus rechtlichen Gründen auch in anderen Bundesländern ändern. Denn sie widerspricht dem Anspruch der Bürger:innen auf Transparenz, der sich hier vor allem aus den Reglungen des Umweltinformationsgesetzes ergibt. Diese sind im Lichte des höherrangigen Verfassungs- und Europarechts auszulegen. So hat der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) eine Schutzpflicht, der er durch geeignete und wirksame Schutzmaßnahmen nachkommen muss. Zum gebotenen Schutz gehört auch, wie der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte feststellte, die Bürger:innen über mögliche Gefahren zu informieren. Da Starkregengefahr tatsächlich jederzeit auftreten kann, ist die vom umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip bezweckte Risikominderung nur möglich, wenn die Bürger:innen vorab informiert werden. Geschieht dies erst im Katastrophenfall, ist es in vielen Fällen zu spät. Nur wer informiert ist, kann eigenverantwortlich Risikoentscheidungen treffen und diese dann auch verantworten.
Starkregengefahrenkarten geben entscheidende Auskunft über die Gefährdung einzelner Grundstücke durch den Einfluss von Wasserflüssen bei Starkregenereignissen. Sie erheben jedoch allein den möglichen Abfluss von Regenmengen auf bestimmten Bodenflächen. Die Befürchtung, dass persönliche Daten dadurch preisgegeben werden könnten, ist unbegründet. Anders als grundstücksbezogene Straßenaufnahmen oder Satellitendaten lassen sie keinen Aufschluss über die private Lebenssphäre oder Nutzung eines Grundstücks zu.
Sollten im Einzelfall dennoch personenbezogene Daten offenbart werden, ist dieser Eingriff in das Recht auf Datenschutz mit den privaten und öffentlichen Interessen an einer wirksamen Gefahrenvorsorge abzuwägen. Allgemein einen Vorrang des Datenschutzes anzunehmen, ist mit staatlichen Schutzpflichten und umwelt-rechtlichem Vorsorgeprinzip nicht zu vereinbaren. Vielmehr „sticht“ hier um- gekehrt der Klimaschutz den Datenschutz.
Expert:in
Christian Calliess ist Professor für Öffentliches Recht, Umweltrecht und Europarecht an der Freien Universität Berlin. Von 2008 bis 2020 war er Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung. Das Plädoyer geht auf eine Arbeit zurück, die im Rahmen der Einstein Research Unit CliWaC entstanden ist.
Stand: März 2024