Wir sehen uns auf dem Mars

Ein Beitrag aus ALBERT Nr. 9 "Wasser"

Gewöhnen wir uns daran. Alles schwindet dahin. Böden, Molche, Grundwasser. Doch es gibt Hoffnung auf Erlösung.

Von Kathrin Röggla

… aber wir waren ja noch beim Abschiednehmen, beim Abschiednehmen von der Natur. Da waren noch der Olm, der Molch, der sibirische Tiger, die Wildbiene. Auf Bienen, diese Ausnahmeinsekten und Botschaftertiere der Luft, setzen ja alle immer wieder, aber Wildbienen werden immer vergessen. Ganz zu schweigen von den Böden. Abschied nehmen von den Böden, das heißt Abschied nehmen vom Grundwasserspiegel, das geht irgendwie dann doch nicht, obwohl er sich ja so weit nach unten verzogen hat, 200 Meter tiefer als vorher. 200 Meter tiefer liegt ja ohnehin mittlerweile alles. Und das bei Starkregen. Weil die Böden dicht halten. Weil die Böden nichts mehr aufnehmen. Alles schießt immer gleich zum Meer. Alles Wasser immer sofort zum Meer, aber so genau wissen wir das nicht, wir haben da keine Beobachterposition, wir wissen auch nicht, ob es das aufnehmen kann, das Meer. Wir haben überhaupt keine übergeordnete Beobachterposition, das ist einfach zu groß. 

Auch der Exxon-Brief ist zu groß. Immer noch. Sie erinnern sich an die fossile Industrieschweinerei, Studien in den 70ern in Auftrag zu geben und ihre Ergebnisse zu dementieren, ja eine Desinformationskampagne zu starten, die sich gewaschen hat. Die Umwelt hat sich nicht mehr gewaschen seither, aber der Brief der Wissenschaftler dann doch. Anfangs war er zu groß für seine Adressaten. Er passte einfach in keinen einzelnen Postkasten, da hat das Unternehmen sich gesagt, ordern wir Gegenwissenschaftler und Gegenstudien, um ihn kleiner zu kriegen. Aber er wurde nicht kleiner, der Exxon-Brief hat uns alle mittlerweile überwachsen, er ist durch alle Briefkästen, die es so gibt in der Corporate-Welt, hindurchgewachsen, und jetzt kennen wir sie alle, die Medienkampagnen, die immer und immer weiter die Wissenschaft als Kampfplatz inszenieren, wo es angeblich stets ein Pro und Contra gibt: Nein, der Klimawandel ist nicht menschengemacht. Doch, doch, der ist menschengemacht. Und jetzt steht er da, der „Klimarechnungshof mit seinem angezählten Planeten“, zumindest vor Kurzem stand er so auf Facebook, und vielleicht steht er auch noch vor unserer Tür, nur macht niemand auf. Doch, doch, heißt es, laufende Klageverfahren bestünden, vor nichts weglaufende Klageverfahren, wohin man schaut, juristischer Aufbruch. 

Aber wir waren ja beim Abschiednehmen. Von der Natur. Nennen wir es lieber Gleichgewicht. Das stabile Gleichgewicht, in dem wir uns eingerichtet haben, das unser Überleben überhaupt ermöglicht. Filme zeigen das her, ganze Hollywoodfilme und auch halbe. Wie man dann zum Mars aufbrechen muss, wegen des fehlenden Gleichgewichts, obwohl der bekanntlich überhaupt kein Gleichgewicht hat. Und dann gibt es da oben auf dem Mars genmutierten Mais, der alles abkann. Ganz ohne Sauerstoff, ganz ohne Wasser, und dazwischen kleine Kinder, kleine Kinder in genmutierten Maisfeldern, kleine Kinder am Mars ohne Wasser. Ganz ohne Wasser. Ja, das ist es, oder?

Expert:in

Kathrin Röggla ist Schriftstellerin, Theaterautorin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste Berlin. 2022 wurde ihr Stück „Das Wasser”, das den gesellschaftlichen Umgang mit krisenhafter Dürre und Starkregen künstlerisch aufbereitet, am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt. Sie ist Professorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien Köln.

Stand: März 2024