Frank Kelleter

Frank Kelleter gilt als weltweit bekanntester deutscher Nordamerikanist seiner Generation. 2013 wechselte er von der Georg-August-Universität Göttingen an die Freie Universität Berlin, wo er als Einstein-Professor unter anderem zu amerikanischen Fernsehserien forscht. Sein historischer Schwerpunkt liegt auf der amerikanischen Aufklärung, seine Habilitation „Amerikanische Aufklärung: Sprachen der Rationalität im Zeitalter der Revolution“ aus dem Jahr 2002 avancierte zu einem Standardwerk seiner Disziplin.

 


Mehr zu Frank Kelleter

»Serien verlangen Hingabe«

Sind Serien ein Phänomen der Gegenwart?
Wenn heute jemand das Wort Serie benutzt, denkt er vor allem an TV-Serien, das Fernsehen ist zu einem Leitmedium des Seriellen geworden. Doch seitdem Menschen sich Geschichten erzählen, tun sie das in Fortsetzungen. Mit der industriellen Produktion im frühen 19. Jahrhundert wurde serielles Erzählen dann zu einer dominanten Erzählform ganzer Gesellschaften. In unserer Forschungsgruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ untersuchen wir neben Fernsehserien und Feuilleton-Romanen des 19. Jahrhunderts auch Kinofilme und Computerspiele und haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Serialität als Beobachtungskategorie neu wahrgenommen wird.

Was ist für Sie das Spannende an seriellen Erzählformen?
Serien stehen vor einem der schwierigsten Probleme des Erzählens überhaupt: Sie müssen gleichzeitig Innovation und Wiedererkennbarkeit schaffen. Es ist allgemein bekannt, dass uns ein gelungenes Ende einer Geschichte Befriedigung verschafft – etwa wenn die Liebenden heiraten oder der Mörder gefasst wird. Weniger oft behandelt wird die Frage, welche Befriedigung eigentlich Wiederholungen bieten. Ich denke, hier leisten Serien einen wichtigen Beitrag zum Selbstverständnis moderner Gesellschaften. Sie schaffen Vertrauen darin, dass immer neue Geschichten kommen und die kommunikativen Strukturen weiterlaufen wie bisher. Sie bringen ständig neue Aufregung, das aber in verlässlicher Form. Vor allem Amerika steht aufgrund seiner Heterogenität und geografischen Größe vor der Frage, wie sich seine Einwohner als Mitglieder ein und derselben Gesellschaft verstehen können. Für dieses Verständnis sind moderne Medien und serielles Erzählen enorm wichtig.

Schauen Sie auch privat gerne Serienformate?
Es ist schwer zu sagen, was ich mir privat anschaue und was beruflich. Selbst wenn ich mit meiner Frau abends vor dem Fernseher sitze, mache ich mir oft Notizen. Der Kopf läuft immer mit. Die Entscheidung, welche Serien man in der Familie verfolgt, ist zudem eine sehr weitreichende. Serien verlangen eine gewisse Hingabe. Man wechselt ja auch nicht ohne Weiteres seinen Zahnarzt, von dem man schon lange behandelt wird. Genauso verzeiht man einer Serie sehr viel und hofft, dass sie bald besser wird. Sie wird oft als Ritual in die Alltagsstrukturen eingebunden. Das beste Beispiel dafür ist der deutsche Tatort am Sonntagabend, der zu einer sozialen Instanz geworden ist.

Interview: Mirco Lomoth