Lieber Mark Tuckerman,
Welcher Aspekt Ihrer Forschung zu neuartigen flüssigen Elektrolyten für Batterieanwendungen begeistert Sie derzeit am meisten?
Am meisten begeistert mich an dieser Forschungsrichtung ihre inhärente Interdisziplinarität, da sie an der Schnittstelle von physikalischer und synthetisch-organischer Chemie, Elektrochemie, Physik, Quanten-Simulation und KI liegt. Nur durch diese einzigartige Kombination von Disziplinen und die experimentelle wie rechnergestützte Expertise, die wir zusammengeführt haben, konnten wir eine verbesserte Elektrolytleistung demonstrieren – und zwar durch die gezielte Auswahl von Molekülen, die die ungewöhnlichen Ladungstransportprozesse unterstützen können, die wir vorschlagen. Nachdem wir kürzlich einen Machbarkeitsnachweis erbracht haben, können wir nun beginnen, den chemischen Raum tiefer zu erforschen, um weitere Verbindungen zu entdecken, die zusätzliche Verbesserungen ermöglichen könnten – und um grundlegende, universelle Trends in breiteren Klassen flüssiger organischer Elektrolytsysteme zu erkennen.
Was war bisher der glücklichste Moment Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn?
Es gibt viele glückliche Momente in einer Forscherkarriere, aber die erfüllendsten sind für mich jene, in denen ein:eStudent:in oder Postdoc aus meiner Gruppe – nach Jahren harter Arbeit und Engagement für ihr Projekt – ihre ideale Position findet und ihre eigene berufliche Laufbahn beginnt, sei es in der Wissenschaft, in der Industrie, in der Wissenschaftsadministration oder anderswo.
Was sind die idealen Bedingungen für gute Forschung in den Naturwissenschaften?
Ich bin überzeugt, dass ein offenes und inklusives Forschungsumfeld, in dem Wissenschaftler:innen frei ihre eigenen Fragestellungen verfolgen können, aber auch zur Zusammenarbeit ermutigt werden, die besten Ideen hervorbringt. Meiner Erfahrung nach gilt das besonders in einem interdisziplinären Setting, denn große Durchbrüche gelingen am ehesten, wenn unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen auf ein schwieriges Problem angewendet werden – ein Problem, das ein einzelner, enger Ansatz womöglich nicht lösen könnte.
Welche Erkenntnis oder Idee aus Ihrer Arbeit möchten Sie gerne in der Gesellschaft weiter verbreitet sehen?
Meine Arbeit im Bereich molekularer Materialien hat mir gezeigt, dass innovative und erfolgreiche Lösungen für schwierige Probleme aus echtem „Out-of-the-box“-Denken entstehen – genau der Art von Denken, das durch ein interdisziplinäres Forschungsumfeld gefördert wird, wie ich es in meiner Gruppe pflege. So sind wir beispielsweise auf unsere derzeitige Forschungsrichtung zu Batterieelektrolyten gestoßen, und auf neue Ansätze zur Vorhersage molekularer Kristallstrukturen. Ich bin gespannt auf die mögliche Wirkung dieser Ideen in meinem Fachgebiet. Es sollte keinen Zweifel daran geben, dass dieselbe Art von kreativem Problemlösungsvermögen und Offenheit für unterschiedliche Herangehensweisen auch nötig ist, um die komplexen und vielschichtigen Probleme anzugehen, die alle Bereiche des menschlichen Lebens betreffen.
Wie wird sich Ihr Fachgebiet bis zum Jahr 2050 verändert haben?
Die Herausforderungen beim Design und der Modellierung elektrochemischer Energiespeicher – wie Batterien und Brennstoffzellen – bestehen darin, Prozesse abzubilden und zu optimieren, die sich über viele Größen- und Zeitskalen erstrecken: vom Knüpfen und Lösen einzelner chemischer Bindungen bis hin zu Veränderungen in globaler Morphologie, Lösungsmittelverteilung und chemischer Stabilität – und das über mindestens fünfzehn Zehnerpotenzen in der Zeit. Solche Phänomene über diese hierarchischen Skalen hinweg zu beschreiben, bleibt ein großes Hindernis. Ich erwarte, dass in den kommenden Jahrzehnten neue Strategien entwickelt werden, um dieses Problem zu lösen. Ich bin überzeugt, dass KI dabei eine zentrale Rolle spielen wird – von der Verbindungssuche über die Skalierung des auf kleinen Zeit- und Längenskalen erworbenen Wissens bis hin zur Beschreibung von Phänomenen auf größeren Skalen. Und wenn ich ein wenig träumen darf: Vielleicht wird auch Quantencomputing zur Entwicklung neuer, effizienterer Rechenansätze beitragen.
Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Forscher geworden wären?
Ich habe eine große Leidenschaft für Musik, der ich derzeit nur als Hobby nachgehe. Wenn ich kein Forscher geworden wäre, hätte ich wohl einen beruflichen Weg in der Musik eingeschlagen – vielleicht als Musiker (ich spiele Klavier … oder habe es zumindest einmal getan) oder in einer anderen Funktion. Letztlich bereue ich jedoch nicht, mich für eine wissenschaftliche Laufbahn entschieden zu haben, und freue mich, dass ich Musik einfach als Liebhaber genießen kann.
Wer ist Ihr wissenschaftliches Vorbild?
Ich würde Richard Feynman nennen – und das nicht nur, weil die Pfadintegralformulierung der Quantenmechanik von physikalischer Chemie bis zur Quantenfeldtheorie überall Anwendung findet und auch in unserem Batterieelektrolytprojekt eine zentrale Rolle spielt. Ich finde die pure Freude, die Feynman an der Physik hatte, ansteckend. Er war nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, sondern auch ein großartiger Dozent – seine Begeisterung für die Wissenschaft und das Vermitteln dieser Begeisterung an Studierende spürt man in seinen Vorlesungen (siehe https://www.feynmanlectures.caltech.edu/flptapes.html für archivierte Mitschnitte). Feynman hat Generationen junger Theoretiker*innen inspiriert – und tut dies posthum noch immer.
Gibt es etwas in oder an Berlin, das Sie in Bezug auf Ihre Forschung nirgendwo sonst finden?
Als New Yorker ist das eine schwierige Frage. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass das Forschungsumfeld in Berlin genauso anregend ist wie das in New York. Dasselbe gilt für das kulturelle Leben in Berlin – ich genieße es genauso wie das in New York!