Lieber Nevan Krogan, ...
… welcher Aspekt Ihrer Forschung begeistert Sie im Moment am meisten?
Derzeit ist es eine unglaublich spannende Zeit, Wissenschaftler:in zu sein, da viele Technologien inzwischen ausgereift sind. Noch faszinierender ist jedoch zu sehen, wie diese Technologien jetzt miteinander kombiniert und integriert werden, um eine noch nie dagewesene Sicht auf die molekulare Biologie und ein tieferes mechanistisches Verständnis in verschiedenen Krankheitsbereichen zu ermöglichen. Mit dem Aufkommen von KI können wir Datensätze nun effektiver integrieren und Vorhersagen treffen, die uns früher schlichtweg nicht möglich waren.
Was sind die idealen Bedingungen für gute Forschung in den Naturwissenschaften?
In meinem Labor habe ich versucht, eine Atmosphäre der Freiheit zu schaffen – ein Umfeld mit hervorragenden Wissenschaftler:innen, in dem es auch viel Flexibilität und Raum gibt, damit Menschen eigene Ideen entwickeln und ihre Vision umsetzen können. Ich bin überzeugt, dass ein freies und offenes Umfeld, in dem Zusammenarbeit gefördert wird, ideal ist, um Entdeckungen zu machen und einen echten Einfluss in den Naturwissenschaften zu erzielen.
Welche Erkenntnis oder Idee aus Ihrer Arbeit würden Sie gerne in der Gesellschaft verbreitet sehen?
Ein zentrales Element unserer Arbeit ist die Zusammenarbeit. Unser Ziel ist es, Menschen aus verschiedenen Disziplinen zusammenzubringen. Und ich denke, diese Idee lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen: Menschen zusammenzubringen, die normalerweise nicht miteinander zu tun haben und nicht unbedingt gleich denken, um gemeinsam Probleme zu lösen. Ich glaube, diese Logik, die wir in unserem wissenschaftlichen Umfeld anwenden, kann in nahezu jedem gesellschaftlichen Bereich eine große Wirkung entfalten.
Wenn Sie in die Zukunft blicken – wie wird sich Ihr Fachgebiet bis 2050 entwickelt haben?
Im Moment beschäftigen wir uns intensiv mit der Generierung von Daten und deren Integration aus unterschiedlichen Quellen. Wir sehen bereits jetzt, dass KI – insbesondere strukturorientierte Ansätze wie AlphaFold – den Fokus von der experimentellen Datenerhebung hin zur Vorhersage verlagert. KI macht Forschung günstiger und schneller, indem sie experimentelle Ergebnisse präzise vorhersagt. Ich denke, diese Entwicklung wird sich weiter verstärken, sodass Routine-Experimente künftig durch KI prognostiziert werden können und wir unsere Energie auf komplexere und anspruchsvollere Datensammlungen konzentrieren können.
Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Forscher geworden wären?
Wenn ich kein Wissenschaftler geworden wäre, wäre ich wahrscheinlich Eishockeyspieler. Ich bin ein waschechter kanadischer Junge. Ich bin mit Eishockey aufgewachsen und wäre heute vermutlich ein pensionierter Spieler. In der Wissenschaft gelte ich in manchen Kreisen noch als relativ jung. Aber wenn ich Eishockey gespielt hätte, wäre meine Karriere längst vorbei. Insofern bin ich froh, dass ich den wissenschaftlichen Weg eingeschlagen habe.
Wer ist Ihr wissenschaftliches Vorbild?
Ich bewundere viele Wissenschaftler:innen der Vergangenheit, unter anderem Marie Curie. Sie hatte einen außergewöhnlichen Einfluss in einer Zeit, in der es äußerst unüblich war, dass Frauen in der Wissenschaft tätig waren. Sie war eng mit Albert Einstein befreundet, der sie in ihren wissenschaftlichen Bemühungen unterstützte. Dass sie innerhalb kurzer Zeit zwei Nobelpreise gewann und so viel von dem begründet hat, was wir heute in der Wissenschaft tun, ist wirklich bemerkenswert.
Gibt es etwas in oder an Berlin, das Sie in Bezug auf Ihre Forschung nirgendwo sonst finden?
Jeder Ort hat ein einzigartiges Umfeld, das durch die dort ansässigen Wissenschaftler:innen geprägt ist. In Berlin, an der Freien Universität, gibt es eine außergewöhnliche Ansammlung von Forscher:innen in den Bereichen Biochemie, Biophysik und Strukturbiologie. Es ist unglaublich bereichernd, sich mit ihnen – sowohl individuell als auch in der Gruppe – auszutauschen. Ich werde dort Wissenschaft betreiben können auf eine Weise, die nirgendwo sonst auf der Welt möglich wäre.