Deutschland braucht ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Wirtschaft und Gesellschaft müssen die Silver Workers nach ihren Fähigkeiten einsetzen und unterstützen. Die Arbeitsmedizinerin Susanne Völter-Mahlknecht über erfüllende Arbeit im Alter – und die Voraussetzungen dafür

Der demografische Wandel wird den Fachkräftemangel weiter zuspitzen. Um das abzufedern, wird die Lebensarbeitszeit ansteigen müssen. Je länger ältere Arbeitnehmer erwerbstätig sind, desto häufiger müssen sich Unternehmen allerdings auf chronische Erkrankungen einstellen, etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates und Diabetes mellitus.
Das hat Auswirkungen auf den Betrieb. Möglicherweise gibt es Einschränkungen bei der Einteilung für die Schichtarbeit, für die Nachtarbeit, Akkordarbeit oder bei Fahrtätigkeiten mit Personenbeförderung. Die Arbeitgeber müssen die Möglichkeit einer Diätverpflegung und Medikamenteneinnahme gewährleisten. Das Unternehmen muss bedenken, dass körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein kann.
Angesichts des demografischen Wandels brauchen wir eine alters- und alternsgerechte Arbeitsgestaltung. Das Ziel der Arbeitsmediziner:innen und Betriebsärzt:innen ist ja, dass sie einen Mitarbeitenden möglichst gesund bis zur Altersgrenze begleiten. Die Kunst dabei ist, nicht stur die immer gleichen Maßnahmen anzubieten – also jeder kriegt einen Obstkorb und einen Sportkurs –, sondern zu überlegen, was braucht der Einzelne in seiner jeweiligen Lebensphase? Was ihm nützt, hängt von seinen Bedürfnissen ab, von seiner Compliance – also ob er die Maßnahmen aktiv annimmt –, beruflichen Belastung und Beanspruchung. Künstliche Intelligenz kann den Unternehmen helfen, das personalisierter zu gestalten.
Was der Mensch braucht, ist eine ganzheitliche, verhältnis- und verhaltenspräventive Unterstützung auf Ebene der Organisation sowie des Individuums unter Berücksichtigung seiner Lebenswelt und deren Wandel: Wie baue ich Resilienz auf? Wie verbessere ich meine Gesundheits- und Arbeitsplatzgestaltungskompetenz, meine Teamkompetenz und Wandlungsfähigkeit? Diese Kompetenzen lassen sich bis zu einem gewissen Grad erlernen. Auch von diesen Kompetenzen hängt es ab, ob die Menschen mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters zurechtkommen werden.
Was ich mir wünsche, ist, dass bei der Gestaltung der Arbeit der Mensch im Mittelpunkt steht und die Arbeit als schöner, positiv konnotierter Bestandteil des Lebens gesehen wird und nicht als etwas, was man bis Freitag ertragen muss, und am Montag fängt das „Leid“ wieder von vorne an. Als sinnhaft empfinden Menschen ihre Arbeit unter anderem dann, wenn sie das Gefühl haben, einen positiven Beitrag zu leisten, und die Arbeit im Einklang mit ihren Werten steht, aber auch wenn sie Gestaltungsspielraum und die Möglichkeit zu Selbstverwirklichung, Autonomie und Verantwortungsübernahme haben. Solche Arbeitsmodelle passen aber nicht für jeden. Manche Menschen bevorzugen traditionelle Arbeitsmodelle. Wir müssen also darauf achten, dass wir hier die Richtigen mitnehmen.
Der Pianist Artur Rubinstein wurde einmal gefragt, wie er es mache, dass er auch in hohem Alter noch Konzerte gebe. Er antwortete, dass er sich auf bestimmte Stücke konzentriere, häufiger übe und das Tempo vor schnellen Passagen verlangsame. Er hat überlegt, wie er kompensieren kann, was er nicht mehr kann. Die Frage aus Sicht von Unternehmen und Beschäftigten ist: Wie kann man Beschäftigte nach ihren Fähigkeiten, Qualifikationen und Bedürfnissen richtig einsetzen – unabhängig von ihrem Alter?
Autorin
Susanne Völter-Mahlknecht ist Direktorin des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Präventivmedizin an der Medizinischen Fakultät Göttingen. Von 2018 bis September 2024 leitete sie das Institut für Arbeitsmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
März 2025