Ann Ehrenhofer-Murray

Sie geht an die Grenzen der Genetik: Ann Ehrenhofer-Murray will herausfinden, unter welchen Bedingungen Gene ihre Funktionen ausüben können. Ihre Forschungsobjekte sind beispielsweise Zellen von Bäcker- und Spalthefe. Seit Sommer 2013 ist Ann Ehrenhofer-Murray Einstein-Professorin für Zellbiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Biochemikerin mit schweizerischem und britischem Pass hat in Zürich studiert und anschließend unter anderem in Berkeley geforscht. Zuletzt war sie Professorin an der Universität Duisburg-Essen.

 


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»Das Buch des Lebens verstehen«

Reicht es aus, die menschliche DNA-Sequenz zu kennen, um das Leben zu verstehen?

Nein, die Musik spielt jenseits der DNA. Das menschliche Genom ist in seiner Primärsequenz seit 2001 bekannt, aber was wir noch nicht so gut verstehen und derzeit untersuchen, ist, wie Erbinformation tatsächlich umgesetzt wird. Wie werden einzelne Gene an- oder ausgeschaltet, um aus einem Genom bestimmte Funktionen entstehen zu lassen? Als Epigenetiker erforschen wir die molekularen Mechanismen, die dabei an der DNA-Sequenz ablaufen. Uns interessiert, wie die DNA verpackt ist und welche Änderungen an den Verpackungsproteinen zu Abweichungen bei der Umsetzung genetischer Information führen. Krebszellen zum Beispiel sind sowohl genetisch als auch epigenetisch ganz anders als normale Zellen. Ihre genetische Veränderung lässt sich nicht rückgängig machen, die epigenetische aber vielleicht schon. Das ist ein Ansatzpunkt für neue Krebstherapeutika. Wir wollen epigenetische Mechanismen verstehen, zum Beispiel Enzyme, die unerwünschte Reaktionen durchführen, um dann entsprechende Hemmstoffe zu entwickeln.

Was treibt Sie in Ihrer täglichen Forschung an?
Ich dringe sehr gerne ins molekulare Detail vor und gehe dabei so weit in die Tiefe, dass ich den Mechanismus eines Prozesses verstehe. Im Alltag erfreue ich mich auch an kleinen Einsichten, etwa wenn ein Experiment funktioniert oder wir es schaffen, einen Puzzlestein in das Gesamtbild einzusetzen. Letztendlich würde ich gerne alle Vorgänge verstehen, die an der Umsetzung genetischer Informationen beteiligt sind, und dann schauen, worin sich diese bei kranken Zellen unterscheiden und wo man eingreifen kann. Doch wir sind noch weit davon entfernt, alles zu verstehen.

Womit befasst sich die Epigenetik in Zukunft?
Ein neues Gebiet sind neurodegenerative Erkrankungen, wie zum Beispiel Alzheimer oder Parkinson. Da gibt es mittlerweile Indizien, dass epigenetische Therapien helfen könnten. Wir haben bereits ein Molekül isoliert, das ein bestimmtes Enzym hemmt und dessen Auswirkung auf neurogenerative Defekte jetzt getestet wird. Auch in der Altersforschung spielt Epigenetik eine immer wichtigere Rolle. In Modellorganismen wurden bereits genetische Mutationen nachgewiesen, die ein verändertes Protein entstehen lassen, das ein langsameres Altern bewirkt. Es sollte daher möglich sein, einen chemischen Hemmstoff zu finden, der dasselbe macht. Die Frage ist, ob das nicht auch negative Konsequenzen haben könnte. In die Alterung einzugreifen heißt schließlich, gesunde Menschen zu behandeln. Aber eine spannende Forschungsfrage ist es in jedem Fall.

 

Interview: Mirco Lomoth