Von 1842 bis 1845 fand – finanziert vom preußischen Königshaus, geplant und geleitet durch den Ägyptologen Richard Lepsius – eine Expedition ins ägyptische und nubische Niltal statt, die erhebliche Wirkung auf die Rezeption und Perzeption des antiken Ägypten in Berlin, Deutschland und Europa haben sollte. Diese Expedition ist nicht allein durch Lepsius’ Publikationen – allen voran das zwölfbändige Tafelwerk „Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien (Berlin 1849-1859)“ – dokumentiert, sondern auch durch umfangreiche Bestände von ägyptischen Objekten, wissenschaftlichen Materialien und archivalischen Quellen, die sich heute größtenteils im Berliner Ägyptischen Museum und an der Berliner Akademie befinden.
Als eine der am dichtesten, vielfältigsten und vielstimmigsten bezeugten wissenschaftlichen Expeditionen ihrer Zeit ist sie exemplarisch für die Planung, Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Unternehmungen im 19. Jh. Unter den Zeugnissen der Expedition befinden sich mehr als 1.700 Zeichnungen – ein enormer, doch bislang unzugänglicher Schatz an künstlerischer Gestaltung wie wissenschaftlicher Aussagekraft. Sie wurden von den fünf Zeichnern und zwei Architekten der Expedition angefertigt und dokumentieren, trotz des wissenschaftlichen Objektivitätsanspruchs, ästhetisch und epistemologisch zeitbedingte, individuelle Wahrnehmungen Ägyptens. Als Quelle der monumentalen Tafelbände prägten und formten sie ihrerseits die gesellschaftliche Wahrnehmungen Ägyptens im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts.
Das an vier Berliner Institutionen – am Ägyptischen Museum, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Freien Universität und der Technischen Universität – angesiedelte Einstein-Projekt „Perzeptionen Ägyptens“ hatte in erster Linie die digitale Erschließung und interdisziplinäre Auswertung dieses Zeichnungenschatzes zum Ziel. Alle Blätter wurden in hochauflösenden Bilddaten digitalisiert. Die Digitalisate wurden unter zwei Perspektiven wissenschaftlich annotiert und aufbereitet: Einerseits wurde der Gesamtbestand mit objektgeschichtlichen und ägyptologischen Metadaten annotiert. Andererseits wurde eine qualifizierte Auswahl von mehr als 100 Zeichnungen kunsthistorisch beschrieben, mit Vergleichsmaterial aus der europäischen Darstellungstradition ägyptischer Motive annotiert und so in die Wahrnehmungsmuster einer zeitlich, räumlich und kulturell entfernten Welt unter dem epistemologischen Horizont und in medialen Formaten des 19. Jahrhunderts eingeordnet.
Am Ägyptischen Museum wurde erstmals eine Bestandserfassung und Aufarbeitung jener ägyptischen Objekte geleistet, die im Zuge der Expedition aus ihren ägyptischen – durch die Zeichnungen gleichsam „virtualisierten“ – In-situ-Kontexten entnommen und nach Berlin verbracht worden sind. Schließlich wurde während der Projektlaufzeit eine baugeschichtliche Auswertung der Zeichnungen des Architekten Georg Erbkam und eine Print-Edition seiner Tagebücher begonnen. Das Projekt hat mit seiner Arbeit den Grundstein für die geplante Zusammenführung, Verlinkung und Publikation aller Objekte, Materialien und Archivalien der Preußischen Ägypten-Expedition in einem Online-Portal gelegt, das durch künftige Projekte erweitert werden soll.
Einen öffentlichen und sichtbaren Projektabschluss bildet die Sonderausstellung „Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842 – 1845“, die vom 2. September 2022 bis zum 7. März 2023 im Neuen Museum zu sehen ist und Ergebnisse der Projektarbeit in die Öffentlichkeit kommunizieren wird.