Technologie ist kein Allheilmittel für demografischen Probleme. Sie muss richtig eingesetzt werden, um Risse in der Arbeitswelt nicht noch zu verstärken. Der Soziologe Philipp Staab zu den Grundlagen einer zukunftsfähigen Digitalisierung der Arbeitswelt

Technologie soll Antworten auf dringende demografische Fragen liefern, zum Beispiel: Wie hält man mit weniger Arbeitskräften einen Arbeitsmarkt am Laufen? Oder: Wie kann man die Produktivität der Beschäftigten signifikant steigern?
Ich würde die Wahrscheinlichkeit, dass die Produktivität durch neue Technologien im erforderlichen Maß steigt, vorsichtig pessimistisch einschätzen. Zwar wird an vielen Stellen, an denen digitalisiert wurde, Arbeitskraft gespart. Doch in vielen Branchen übernehmen die Menschen jetzt Aufgaben, die sie zuvor nicht erledigen mussten. Das fängt bei so einfachen Dingen an, dass ich als Professor heute meine Dienstreisen selbst buche – früher hätte das jemand anderes an der Uni übernommen. Die Arbeit hat sich verdichtet. Ein vordergründiges Ergebnis ist, dass die gleiche Anzahl von Menschen in der gleichen Zeit mehr Aufgaben erledigen kann. Dies geschieht aber häufig nicht, indem Automatisierung den Leuten Tätigkeiten abnimmt, sondern dadurch, dass die Schlagzahl der Tätigkeiten intensiviert wird. Digitale Produktivitätsgewinne gibt es, aber sie sind sehr oft eigentlich der Effekt von Arbeitsverdichtung.
Betroffen von Arbeitsverdichtung durch Technologie sind auch die öffentlichen Güter im weitesten Sinne – also Daseinsvorsorge, Erziehungsberufe, Schulen, Pflege. Überall, wo es darum geht, wie man die Alten versorgt oder die Jungen so fit macht, dass sie produktiv genug sein werden, die vielen Alten bei in Zukunft weniger Erwerbstätigkeit zu schultern.
In diesen Berufen sehen wir, wie die Arbeitsverdichtung nicht nur auf Kosten der Beschäftigten geht – etwa an Krankenständen und der immensen Fluktuation in den Pflegeberufen –, sondern auch auf Kosten der Servicequalität in den basalen Selbsterhaltungsdiensten, die unsere Gesellschaft organisiert. Es geht also ans Eingemachte und im schlimmsten Fall ans Leben der Menschen.
In Technologie werden mitunter hohe Hoffnungen gesetzt. Die Idee ist, dass wir alles technisieren müssen, was wir technisieren können, um die Produktivität zu steigern und die Wohlstandsgewinne zu erhöhen, die wir brauchen, um die Reproduktionskrise im Licht der Demografie halbwegs zu stemmen.
Wenn das funktionieren soll, muss es in grundsätzlicher Weise mit der Entlastung der Beschäftigten verbunden werden. Die Arbeitswelt steht bereits so unter Druck, dass jeder weitere Druck durch digitale Arbeitsverdichtung die Menschen an die Grenzen dessen bringt, was sie bewältigen können. Man geht davon aus: Technologischer Fortschritt und Digitalisierung sind die Lösung. Aber die Technologie ist ebenso gut in der Lage, Probleme zu verschlimmern, wenn sie nicht beschäftigungsfreundlich und kontextsensibel gestaltet wird.
Vor zehn Jahren gab es in der öffentlichen Debatte eine große Angst, dass uns die Roboter die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Dieses Lied singt in Deutschland niemand mehr, weil das absolute Gegenteil eingetreten ist. Wir können gar nicht so viel automatisieren, wie wir es bräuchten.
Autor
Philipp Staab ist Professor für Soziologie von Arbeit, Wirtschaft und technologischem Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin und Co-Direktor am Einstein Center Digital Future (ECDF).
März 2025
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