Eine Frage der Freiheit: Philipp Staab

Unsere Blog-Reihe im "Wissenschaftsjahr 2024 – Freiheit"

Wird unsere Arbeit durch die Digitalisierung freier?

Dienstleistungen per Apps, Textgenerierung auf Knopfdruck, Datenanalyse mit Algorithmen: Unser Alltag hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Besonders die Arbeitswelt scheint sich massiv zu wandeln. 

Unter Digitalisierung verstehen wir grundsätzlich die fortschreitende Prägung unserer Arbeits- und Lebenswelten durch digitale Technologien, deren Bedeutung im gleichen Zuge wächst. Treiber der Digitalisierung sind Unternehmen und damit verbunden die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie politische und zivilgesellschaftliche Akteur:innen weltweit sind an diesem Prozess beteiligt. 

Dienstleistungen per Apps, Textgenerierung auf Knopfdruck, Datenanalyse mit Algorithmen: Unser Alltag hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Besonders die Arbeitswelt scheint sich massiv zu wandeln.

Die Technologien sind zwischen uns und die Welt geschaltet. Das gilt auch für die Arbeitswelt. Die Digitalisierung ist in der Gestaltung der Arbeit von heute eine zentrale Struktur. Wurden Hierarchien und Macht in der Arbeit vor einigen Jahren noch über Menschen – Vorgesetzte und Mitarbeiter:innen etwa – durchgesetzt, sind an diese Stelle Technologien getreten. Bestes Beispiel dafür ist die Gig Economy: Bei den Dienstboten, die in der Stadt unterwegs ist, haben wir es mit Tätigkeiten zu tun, bei denen die Leute oft nicht mal wissen, wer die Person sein könnte, an die sie ihre Beschwerden oder ihre Vorschläge für Verbesserungen richten könnten. Alles läuft über die App. Das ist eine massive Form der Depersonalisierung von Herrschaft, die durch Technologien entsteht.

Auch wenn die Digitalisierung uns alle betrifft, beeinflusst sie unsere individuellen Arbeitswelten doch unterschiedlich. Als Tendenz gilt: Je komplexer und höher in den beruflichen Statushierarchien eine bestimmte Tätigkeit ist, desto freiheitsfördernder sind Technologien in der Arbeit. Und umgekehrt: Da wo Arbeit ohnehin schon schlecht bezahlt, hart und schwer ist, werden diese Technologien oft rigide eingesetzt, um Arbeitsprozesse zu intensivieren oder Überwachung zu steigern.

Im Zusammenspiel aus Technologie und Demografie wird die Frage der Freiheit in den nächsten Jahrzehnten die entscheidende Konfliktlinie in der Arbeitswelt.

Im Zusammenspiel aus Technologie und Demografie wird die Frage der Freiheit in den nächsten Jahrzehnten die entscheidende Konfliktlinie in der Arbeitswelt. Schrumpft das Arbeitskräftereservoir in unserer alternden Gesellschaft weiter, sind Menschen auch im Niedriglohnbereich weniger darauf angewiesen, schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Wie erhält man vor diesem Hintergrund ein kapitalistisches, nationales Produktionsmodell? Wie genau bringt man Widersprüche unter einen Hut: die Intensivierung von Arbeit, die im Interesse der Unternehmen liegt, auf der einen Seite und die Humanisierung der Arbeit, die im berechtigten Interesse der Beschäftigten liegt, auf der anderen?


Die Digitalisierung ist in diesem Zusammenhang ein Mittel mit offener Zwecksetzung. Sie kann in viele Richtungen eingesetzt werden: digitales Recruiting und mobiles Arbeiten beispielsweise auf der einen Seite, Überwachung und Depersonalisierung auf der anderen. Der jeweilige Zweck kommt aus einer anderen Richtung: aus den Wachstums- oder Profitinteressen von Unternehmen, aus Autonomieinteressen von Beschäftigten und nicht zuletzt aus den Legitimationsinteressen des politischen Systems, das sowohl zufriedene Bürger:innen als auch halbwegs funktionierende Unternehmen braucht, um sich zu erhalten. In diesem Spiel ist die Digitalisierung nur eine von vielen Schrauben, an der man versucht zu drehen.

Text: Philipp Staab, April 2024