Der Biochemiker Rudolf Zechner hat ein Enzym entdeckt, das maßgeblich für den Abbau von Fettsäure in den Fettzellen verantwortlich ist. In Berlin will er dieses Enzym nutzen, um Herzversagen durch Verfettung und andere lebensbedrohliche Krankheiten zu bekämpfen.
Fettsäuren sind essenzielle und allgegenwärtige Moleküle von ganz außergewöhnlicher Bedeutung. Ohne Fettsäuren gäbe es kein Leben. Sie sind wichtige Membran-Bestandteile und die besten Substrate, um Energie zu gewinnen. Sie modifizieren Proteine und machen sie dadurch aktiv. Aber sie haben einen Nachteil: Wenn Sie in höherer Konzentration vorliegen, dann werden sie toxisch.
Damit in den Fettzellen die Fettsäure-Konzentration nicht zu hoch wird, wandelt die Zelle sie in Triglyceride um. Sobald der Körper die Fettsäuren benötigt, spaltet sie diese Triglyceride wieder und sie verlassen die Fettzelle, um anderswo genutzt zu werden. Diesen Prozess bezeichnet man als Lipolyse. Er findet auch in anderen Zellen wie Muskel- oder Leberzellen statt, aber das Fettgewebe ist das einzige Gewebe, das Fettsäuren wieder entlässt und damit alle anderen Gewebe versorgen kann.
Wird die Energie aus dem Fettgewebe jedoch nicht gebraucht, kann der Abbau zu unangenehmen Nebenwirkungen führen. Normalerweise sorgt Insulin dafür, dass die Lipolyse stoppt, wenn wir Nahrung aufnehmen. Aber bei einer Insulinresistenz funktioniert dieser Mechanismus nicht gut. Diabetiker*innen entlassen Fettsäuren aus dem Fettgewebe daher auch im gefütterten Zustand. Das kann zu Leber-, Herz- oder Bauchspeicheldrüsenverfettung führen.

Die Lipolyse ist das zentrale Thema der letzten zwei Jahrzehnte meiner Forschung. Bereits 1964 wurden zwei Enzyme beschrieben, die diesen Prozess steuern. Diese beiden Lipasen standen in jedem Lehrbuch. Um das Jahr 2000 hat dann ein Dissertant von mir in einer Knock-Out-Maus eines der beiden Enzyme ausgeschaltet, das als Schrittmacher-Enzym für den Fettabbau galt. Nach der Lehrmeinung hätte die Maus irrsinnig dick werden müssen. Das ist aber nicht passiert, die Maus war ganz normal. Damit war klar: Das Jahrzehnte alte Dogma stimmte nicht und es musste zumindest eine weitere Lipase geben, die den Fettabbau bewerkstelligt.
Diese fehlende Lipase haben wir 2004 entdeckt und Adipose Triglycerid-Lipase genannt, kurz ATGL. Wir konnten zeigen, dass Mäuse ohne ATGL Fett in allen Körperzellen akkumulieren. Damit war bewiesen, dass ATGL maßgeblich für den Triglycerid-Abbau verantwortlich ist. Es ist das Schrittmacher-Enzym des Fettabbaus – der Fettfresser in unserem Körper, wenn man so will.
In Berlin kooperiere ich mit Ulrich Kintscher an der Charité. Er hat gezeigt, dass sich eine Herzschwäche massiv verbessert, wenn man ATGL im Fettgewebe eliminiert, weil die Fettsäuren dann nicht mehr von dort in das Herz wandern. Wenn ATGL-Hemmer in dieser lebensbedrohlichen Situation Abhilfe schaffen könnten, wäre das ein gewaltiger Durchbruch. Wir haben erste kleine Moleküle entwickelt, Atglistatin genannt, die wir nun testen. Wenn es gelingt, damit die Lipolyse im Fettgewebe zu stoppen, könnte das auch für Leberverfettung, Diabetes-Typ-2, Hepatitis oder sogar Krebs eine Rolle spielen.
Ich bin ein großer Freund der Erkenntnis und habe mich nie sehr um aktuelle Moden gekümmert. Die Lipolyse und der Fettstoffwechsel waren vollkommen antiquiert als ich jung war. Bei den wichtigsten Meetings in New York saßen wir anfangs meist nur zu fünft oder zehnt da. Ich bin dennoch dabeigeblieben, weil es mich gereizt hat, so tief wie möglich zu gehen. Dann können großartige Dinge passieren, wie die Entdeckung der ATGL, was ein Jahrhundertereignis war.
Mit der Fettleibigkeits- und der Diabetes-Wellewar der Fettstoffwechsel in der zweiten Hälfte der 90er Jahre plötzlich ganz oben. Heute sind bei den Meetings 2000 Leute dabei und es ist klar: Der Fettstoffwechsel spielt überall eine Rolle, bei Krebs genauso wie bei Infektionskrankheiten wie Covid-19. Ich bin emeritiert und bleibe noch ein paar Jahre an der Universität, aber hätte ich noch drei Leben, würde ich 50 weitere Projekte starten.
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