Verknüpfte Probleme

Ein Beitrag aus der Reihe "Elephants & Butterflies" – Wissenschaft bildhaft auf den Punkt gebracht

Verkehr muss kein Chaos sein. Der Mathematiker Martin Skutella entwickelt Algorithmen, mit denen sich Straßenverkehr und andere dynamische Netzwerke schneller und effizienter optimieren lassen. Das bringt Mathematik und Verkehrsplanung gleichermaßen voran.

Wenn man auf einen Stadtplan schaut, erkennt man ein Netz aus Straßen und Kreuzungen, auf dem sich die Fahrzeuge und Fußgänger bewegen können. Für mich als Mathematiker sind solche dynamischen Netzwerke, in denen genauso Daten oder Energie im Fluss sein können, kombinatorische Objekte. An ihnen betrachten wir mathematische Optimierungsprobleme – etwa zur Auslastung von Straßen, zu Evakuierungsrouten oder zur Effizienz von Transporten.

Wenn man durch die Welt geht, begegnen einem überall Optimierungsprobleme: Wie steuere ich zum Beispiel meine Heizung, um Energie zu sparen? In welcher Reihenfolge löse ich bestimmte Aufgaben? Oder wie komme ich am schnellsten nach Hause? Etwas möglichst gut machen zu wollen, ist, glaube ich, etwas zutiefst Menschliches.

Der Straßenverkehr ist ein sehr interessantes Optimierungsproblem, weil so viele Handelnde daran beteiligt sind und so viele Verknüpfungen entstehen. Jeder Verkehrsteilnehmer trifft eigene Entscheidungen unabhängig von anderen oder auch unter Beobachtung anderer. 

Wir geben solchen Netzwerken in mathematischen Modellen Regeln vor und schauen, wie sich die Performance des Gesamtsystems dadurch verändert. Was zum Beispiel passiert, wenn jeder Verkehrsteilnehmer nur auf seinen Vorteil bedacht ist? Was, wenn er im Sinne der Allgemeinheit handelt? Dafür nutzen wir auch spieltheoretische Überlegungen.

Natürlich ist Realität viel komplexer als unsere Modelle. Jeder Verkehrsteilnehmer richtet sein Handeln nach unterschiedlichen Kriterien aus – einer hält an einer roten Ampel, der andere nicht. Wir treffen daher immer vereinfachende Annahmen. Im Prinzip ließe sich die Realität in ihrer Komplexität auf dem Computer zwar simulieren, aber dann könnte ich keine bedeutungsvollen Aussagen mehr treffen. Als Mathematiker bin ich viel mehr daran interessiert, ein strukturelles Verständnis meiner Umwelt zu erlangen.

Was mich am meisten ärgert ist, wenn ich Dinge nicht verstehe. Deshalb versuche ich alles, was ich betrachte, grundlegend zu durchdringen. Damit bringe ich die Mathematik voran und im Idealfall auch die wahre Welt da draußen. Für sich allein gesehen ist die Macht der Mathematik recht beschränkt, wenn wir uns aber in interdisziplinäre Kontexte begeben, können wir diese Grenzen ein gutes Stück hinausschieben und die Welt verändern. 

Was mich am meisten ärgert ist, wenn ich Dinge nicht verstehe. Deshalb versuche ich alles, was ich betrachte, grundlegend zu durchdringen. Damit bringe ich die Mathematik voran und im Idealfall auch die wahre Welt da draußen.

Im Exzellenzcluster MATH+ arbeite ich gemeinsam mit dem Verkehrswissenschaftler Kai Nagel an Optimierungsproblemen im Straßenverkehr. Mit sogenannten Next Generation Networks versuchen wir das komplexe Verhalten von Menschen abzubilden und dabei Echtzeitdaten und vielfältige Verknüpfungen einzubeziehen. Wir entwickeln Algorithmen, die Optimierungsprobleme in solchen Netzwerken schneller und besser lösen können als bisher.

Über die Verkehrswissenschaften haben wir Kontakt zur Politik, die daran interessiert ist, Verkehrsnetze der Zukunft oder auch Evakuierungsrouten optimal zu gestalten. Unsere Simulationen können die Konsequenzen ihrer Planung vorhersagen. In MATH+ gibt es auch Kooperationen zwischen der Mathematik und der Biologie, der Medizin und den Geisteswissenschaften, etwa mit Archäologen, die verstehen möchten, wie sich Wegenetze in der Antike entwickelt haben.

Wenn ich über Mathematik nachdenke, begebe ich mich in Gedanken in eine andere Welt. So, als würde ich im Kino in einen Film eintauchen, der in einer utopischen Welt spielt. Wenn ich nicht gerade in diesem mathematischen Mindset bin, mache ich Musik. Ich bin begeisterter Cellist. Das ist eine weitere Welt voller Schönheit, in die ich mich begebe. Ich glaube das, was Musik im Kern ausmacht, ist kaum für Mathematik zugänglich. Da gibt es für mich nichts zu optimieren.

Aufgezeichnet von Mirco Lomoth