Der Kognitive Neurowissenschaftler Roberto Cabeza sucht nach Spuren von Erinnerungen im Gehirn. Anhand von Hirnaktivitätsmustern spürt er dem Moment nach, im dem durch neue Verknüpfungen gespeicherter Informationen Kreativität entsteht.
Zu ergründen, wie Erinnerungen im Gehirn gespeichert und aufgerufen werden, ähnelt dem Versuch, einen fremdartigen Computer verstehen zu wollen, dessen Komponenten und Funktionen teilweise noch unbekannt sind. In gewisser Weise ist das Gehirn ja ein biologischer Computer, es ist ein lebendiges Gewebe, das sich ständig an neue Verhältnisse anpasst.
Man kann das Gehirn auf vielen verschiedenen Ebenen betrachten – von der chemischen und genetischen Ebene über die der Zellen und Schaltkreise, bis hin zur höheren Ebene des gesamten Gehirns und seiner Interaktionen mit der Außenwelt. Das Gedächtnis etwa lässt sich bis zu den Molekülen zurückverfolgen, die sich bei der Entstehung einer neuen Erinnerung verwandeln, zu den Zellen, die ihre Morphologie verändern und den Schaltkreisen, die sich dabei bilden, sowie den verschiedenen Hirnarealen, die miteinander interagieren. Ich arbeite hauptsächlich auf der Ebene der Hirnregionen und des Gehirns als Ganzes. Mein Hintergrund ist die kognitive Psychologie, also das Studium der Kognition und kognitiver Fähigkeiten wie dem Erinnern auf Verhaltensebene. Die Verknüpfung dieses Ansatzes mit Theorien über das Gehirn nennen wir kognitive Neurowissenschaften.
In meinem Labor verwenden wir die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI), um Veränderungen des Blutflusses bei lebenden Menschen zu messen. Diese treten auf, wenn eine bestimmte Hirnregion genutzt wird. Das erlaubt uns, die Natur von Informationen im menschlichen Gehirn zu untersuchen, indem wir die Aktivitätsmuster in einem bestimmten Moment – Sekunde für Sekunde – beobachten, während die Person beispielsweise eine neue Information erlernt und später versucht, sich an diese zu erinnern.
Ich hoffe, dass das Verständnis der grundlegenden Mechanismen des Gedächtnisses uns etwa ermöglichen wird, älteren Erwachsenen zu helfen, ihr Gedächtnis zu verbessern, indem wir evidenzbasierte Trainingsmethoden für sie entwickeln. Zweifellos wird es langfristig einen großen Einfluss auf die Menschheit haben, wenn wir immer tiefer in das Gehirn vordringen, um die grundlegenden Vorgänge der Natur zu verstehen. Oft wird die Tragweite der Wissenschaft erst viele Jahre später ersichtlich.
Als Forscher verändere ich mich ständig, so wie die Wissenschaft sich ständig verändert. In der Vergangenheit habe ich die Auswirkungen von Emotionen auf das Gedächtnis untersucht. Später habe ich mich mit dem autobiografischen Gedächtnis beschäftigt, also den Erinnerungen an das eigene Leben. In Berlin haben wir nun begonnen, uns mit der Wechselwirkung zwischen Gedächtnis und Kreativität zu beschäftigen. Kreativität treibt den Fortschritt an, es ist ein grundlegendes Konzept, das sich zu erforschen lohnt. Wir schauen uns eine bestimmte Form von Kreativität an, nämlich jene, die uns hilft, Probleme zu lösen, indem wir neue Beziehungen zwischen Informationen knüpfen – und eine eine plötzliche Einsicht gewinnen. Die dafür notwendigen Informationen sind in unserem Gedächtnis gespeichert. Kreativität hängt also vom Gedächtnis ab: Ohne Vorwissen können wir nichts erschaffen. Die funktionelle Neuro-Bildgebung zeigt uns, dass eine der Hirnregionen, die an solchen Momenten plötzlicher Einsicht beteiligt sind, der Hippocampus ist – eine Schlüsselregion für das Gedächtnis.
Wir untersuchen die Interaktionen des Hippocampus mit anderen Hirnregionen, um die neuronalen Prozesse hinter diesen Einsichtsmomenten zu verstehen. Und wir wollen verstehen, wie diese durch das Altern beeinflusst werden. Eine unserer Kernfagen ist: Kann Kreativität uns ermöglichen, die Flexibilität und Plastizität im Gehirn aufrechtzuerhalten und so Gedächtnisverlust entgegenzuwirken? Wir alle klagen ja ständig über unser Gedächtnis. Mir scheint das also eine Frage zu sein, die es wert ist, beantwortet zu werden.
Aufgezeichnet von Mirco Lomoth