Um dem Klimawandel zu begegnen, braucht es gute politische Maßnahmen. Der Klima- und Umweltökonom Moritz Schwarz entwirft ökonometrische Modelle, die berechnen, wie effektiv klimapolitische Maßnahmen sind und welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen damit einhergehen.
Wir Menschen freuen uns, wenn etwas ruhig oder glatt verläuft. Viele statistische Methoden sind diesem Denken in geraden Linien nachempfunden. Aber die Welt ist keine gerade Linie. Wenn wir die Realität verstehen wollen, müssen wir lernen, mit Brüchen, Ausreißern und Veränderungen umzugehen. Die Covid-19-Krise ist ein solcher Bruch, der sich in praktisch jeder Datenreihe niederschlägt; Kriege und Wirtschaftskrisen ebenso.
In den Daten, die wir über Naturphänomene sammeln, beispielsweise von Temperaturen oder Extremwetterereignissen, lassen sich neben langfristigen Trends auch solche massiven, unerwarteten und rapiden Veränderungen beobachten. Denn das globale Klimasystem basiert – ähnlich wie das Wirtschaftssystem – auf hochkomplexen und nicht-linearen Dynamiken, die sich ständig verändern.
Als Ökonometriker versuche ich, mit solchen strukturellen Brüchen und Ausreißern umzugehen und zu untersuchen, was diese auslöst. Die Ökonometrie, die datenbasierte Wirtschaftswissenschaft, hat in den letzten 50, 60 Jahren viele robuste Werkzeuge erarbeitet, um Trends und Brüche in der Wirtschaftsentwicklung zu analysieren. Diese lassen sich auf klimaphysikalische Dynamiken übertragen.
Ich nutze ökonometrische Methoden, um besser zu verstehen, wie unsere Wirtschaft und das globale Wetter- und Klimasystem zusammenhängen. Dafür kombiniere ich Wetterdaten, Wirtschaftsdaten, Emissionsdaten und Bevölkerungsdaten. Einerseits analysiere ich, welche Auswirkungen der Klimawandel auf unsere wirtschaftliche Entwicklung haben könnte und mit welchen Kosten wir zu rechnen haben. Andererseits berechne ich, mit welchen Maßnahmen sich CO2-Emissionen nachhaltig reduzieren lassen.
Wir stellen in interdisziplinären Forschungsgruppen zum Beispiel die Auswirkungen verkehrspolitischer Maßnahmen auf den Prüfstand. Dafür suchen wir in Emissionsdaten nach abrupten Zunahmen oder Abnahmen der CO2-Emissionen innerhalb einer Zeitspanne, die nicht etwa durch die Bevölkerungs- oder Wirtschaftsentwicklung erklärbar sind. In sehr vielen Fällen können wir feststellen, dass sie sich einer klima- oder verkehrspolitischen Maßnahme zurechnen lassen.
So haben wir zum Beispiel gezeigt, dass im europäischen Verkehrssektor nur wenige Maßnahmen nachhaltige Effekte auf die Emissionsentwicklung hatten: In 15 Ländern ließen sich über fast 25 Jahre nur zehn effektive Maßnahmen finden. Bei allen war CO2-Bepreisung ein zentrales Instrument; in acht der zehn Fälle wurden allerdings auch flankierende Maßnahmen umgesetzt, etwa Förderungen oder neue Standards für sparsame Motoren.
Für Berlin und andere Bundesländer sowie für europäische Staaten erarbeite ich an der Technischen Universität Berlin in der Forschungsgruppe von Linus Mattauch ein Open-Source-Modell, das Entscheidungsträger:innen die Möglichkeit bietet, die Auswirkungen von klima- und verkehrspolitischen Maßnahmen vorab datenbasiert abzuschätzen: Was passiert mit Verkehrsemissionen, wenn Berlin eine Citymaut einführt? Welche Auswirkungen hat das auf das Wirtschaftswachstum? Und mit welchen Kosten ist zu rechnen?
Wir können mit dem Modell auch soziale Auswirkungen berücksichtigen. Denn gerade in der Klimapolitik ist es enorm wichtig, diese von vornherein mitzudenken und transparent zu machen, welche Effekte eine Maßnahme auf welche Teile der Bevölkerung haben wird. Unser Modell kann helfen, soziale Verwerfungen der Klimapolitik zu minimieren.
Mir gefällt es sehr, in einem Bereich zu arbeiten, der sich in den nächsten 20 oder 30 Jahren komplett verändern wird. Denn wo Veränderung ist, gibt es Dynamik und wo Dynamik ist, kann ich als Forscher etwas beitragen. Gerade im Klima- und Energiebereich suchen sehr viele Leute nach Antworten und Ideen. Ich hoffe, dass wir Politiktreibende dazu bewegen können, robuste sozioökonomische und volkswirtschaftliche Tools zu verwenden, um professionellere Maßnahmen für den Klimaschutz auszuarbeiten – und umzusetzen.
Aufgezeichnet von Mirco Lomoth